Niedermarkt
Die Begräbniskirche St. Jacobi mit zugehörigem Friedhof bildete die Keimzelle für den Niedermarkt.
Pünktlich im Mai dieses Jahres begannen die Erdarbeiten für die Umgestaltung von Ober- und Niedermarkt. Die Gestaltungsarbeiten am Niedermarkt wurden im November 2005 beendet und sind für uns Anlass, etwas in der Historie des Niedermarktes zu stöbern, zumal Tiefbauarbeiten oftmals Einblicke in bislang verborgene Zeitzeugnisse der „Ur-Döbelner“ gewähren.
Die natürlichen Gegebenheiten der Insellage zwischen den beiden Muldenarmen boten ideale Voraussetzungen für eine Stadt. So entstand schon in früher Zeit am Kreuzpunkt mittelalterlicher Handelsstraßen eine Kaufmannssiedlung im Schutze der Burg. Der 21. Juli 981 ist als Geburtstag des „Castellum Doblin“ im Stammbuch Döbelns eingetragen. Unterhalb dieser zunächst hölzernen Burg auf dem Schlossberg entwickelte sich dann die Stadt rastermäßig von Ost nach West. Der große Kirchhof von St. Nicolai wurde nach und nach zum Obermarkt, bestehend aus dem östlichen Kornmarkt und dem sich anschließenden Mittelmarkt (Marktstraße) bis zum Rathaus, hinter dem die Rathausgasse verlief.
Die Ausmaße der Insel selbst betragen 900 Meter in Ost-West-Richtung und 350 Meter in Nord-Süd-Richtung, was eine Fläche von 17 Hektar ergibt. Die befestigte Stadt des Mittelalters nahm davon nur zwei Drittel ein. Zwischen 1150 und 1170 wurde auf dem Schlossberg eine steinerne Burg errichtet und in den Jahren 1221 bis 1288 erhielt die Stadt einen doppelten Mauerring mit drei Stadttoren - genannt „Obertor“, „Niedertor“ und „Staupitztor“. Diese Befestigungen verschwanden bis auf kleine Reststücke im Jahre 1838. Ursprünglich verlief die westliche Stadtmauer von der Ritterstraße durch die Rathausgasse zur Zwingerstraße. Als aber Ober- und Niederstadt durch die Bäckergasse verbunden wurden, verlegte man diese Stadtmauer in die Verlaufslinie der heutigen Breitscheidstraße zwischen der Sparkasse und dem Stadttheater, dem früheren Marstall.
Im Bereich der Niederstadt stand von 1385 bis 1523 die Begräbniskirche St. Jacobi mit zugehörigem Friedhof. Ihre genaue Lage ist nicht überliefert. Sie bildete aber, wie in der Oberstadt die Kirche St. Nicolai, die Keimzelle für einen Markt - den Niedermarkt.
Einige Historiker verlegen den Standort der Kirche in das Umfeld zwischen Fronstraße und Zwingerstraße, früher bekannt als Meyers Hof. Dies würde sich mit dem ursprünglichen Verlauf der westlichen Stadtmauer decken. Der bekannte Döbelner Chronist Constantin Mörbitz (1671-1749) schrieb zur früheren Jacobikirche: „Sie hat auf dem Niedermarkt gestanden, in der Gegend ungefähr, wo die Töpfer feilhielten und ihre Kammern haben bei dem so genannten 'Auerbachs Hof' … Dort verlief früher ein enger winkliger Gang vom Niedertor zur Bäckergasse, ausgehend von Niederwerder und Neugasse!“
Durch einen bösen Bubenstreich des Schmiedelehrlings Joachim Naumann ging diese Kirche am 2. August 1523 in Flammen auf und mit ihr fast alle Häuser Döbelns. Die Kirche wurde nicht wieder aufgebaut, nur der Friedhof bestand noch eine Zeit weiter!
Von 1300 gibt es aus anderen Quellen die Kunde, dass die Kirche vor den Mauern der Stadt gestanden haben soll. Dies könnte ihr spurloses Verschwinden erklären, muss doch mit Überbauungen durch neue Häuser gerechnet werden. So zum Beispiel im Bereich des Häuserviertels zwischen Breite Straße und Niedermarkt.
Einige Verfechter legen die Urzelle Döbelns überhaupt auf den Niedermarkt. Sie erklären das mit dem Verlauf des Böhmischen Handelsweges. Auf diesem Weg rollten die Fuhrwerke der Kaufleute mit Salz und vielerlei Handelsgütern von Hainichen kommend den Hirtenberg herunter. Vom Nieder-Scheunenplan (Körnerplatz) ging es dann durch eine Muldenfurt zum Niedermarkt (Holzmarkt) und die Weiterfahrt nach Norden führte durch die Breite Straße zum Töpferberg oberhalb der Staupitzmühle. Nach den besonders verheerenden Stadtbränden von 1523 und 1730 wandelten sich zwar die Ausführungen und Formen der Häuser Döbelns, die wesentlichen Freiflächen von Ober- und Niedermarkt, so wie wir sie heute kennen, blieben jedoch erhalten.
Blättern wir noch etwas im Tagebuch des Niedermarktes:
- 1862: Erster Christmarkt auf dem Niedermarkt
- 1892: Bei Kanalisationsarbeiten auf dem Markt werden Sargteile und Skelettreste gefunden. Ähnliche Berichte kursieren 1984 als an der Nordwest-Ecke des Häuserviertels (Niedermarkt 24/25) die Bäckerei Gasch abgerissen wird und der heutige Neubau entstand. Allerdings wird dies von der Denkmalsbehörde nicht bestätigt!
- 1892: Die Schienen der Döbelner Pferdebahn werden verlegt. Aus der Bäckerstraße kommend bogen sie nach links in die Breite Straße ein, um dann am Südende des Häuserviertels nach rechts in Richtung Bahnhofstraße abzubiegen.
- 1907: Der Niedermarkt erhält eine Neupflasterung.
- 1911: Einweihung des König-Georg-Reiterdenkmals auf dem Rondell des Marktes.
Lange konnten sich die Döbelner am Reiterstandbild König Georgs nicht erfreuen. 1911 eingeweiht, wurde es 1940 auf Beschluss des Stadtrates als Metallspende der Kriegswirtschaft zugeführt.
- 1933: Ab dieser Zeit wird der Niedermarkt nach dem Gauleiter Martin-Mutschmann-Platz genannt. Ab 1945 heißt er Thälmann-Platz, ab 1990 wieder Niedermarkt.
- 1942: wird die Denkmalsbronze des Reiterdenkmals für Kriegszwecke missbraucht.
- 1963: Abriss von „Stadt Altenburg“ und dem in der Bahnhofstraße angrenzenden „Alt Kulmbach“, „Stadt Altenburg“ war im Mittelalter der Gasthof für das niedere Volk - die „Goldene Sonne“ in der Ritterstraße war für höhere Stände vorbehalten. Am Niedermarkt war nach den Abrissen viele Jahre eine Freifläche. Nach der Wende entstanden eine Gaststätte, ein Reisebüro und ein großer Drogeriemarkt in Neubauten.
(1) Blick von der Breiten Straße Richtung Niedermarkt auf das Hotel "Stadt Altenburg"
(2) Blick aus der Bahnhofstraße Richtung Niedermarkt - rechts das Theater, links neben der Litfaßsäule die Garagen des "Hotels Altenburg", daneben das Gasthaus "Alt Kulmbach" und dahinter das "Hotel Stadt Altenburg"
(3) 1936 wurden die Garagen für den Bau des Capitol-Kinos, das 1937 eröffnet wurde, abgerissen.
- 1965: Das Rondell des Niedermarktes wird bis 1984 PKW-Parkplatz.
- 1979: Der Niedermarkt im östlichen Bereich und die Breite Straße werden zu Fußgängerzonen.
- 1980: In diesem Jahr entsteht der hässliche Ladenvorbau vor den Häusern zwischen Breite Straße und Johannisstraße. Die schönen alten Häuserfassaden werden erst 1995 wieder von dem Vorbau befreit. Geblieben ist der unpassende Eckbau an der Johannisstraße aus der „Betonzeit“.
- 1992: Abriss der „Börse“, Ersatz durch Neubauten bis hin zur Sparkasse, nachdem die entsprechenden Altbauten auch hier verschwanden
Historische Ansichtskarte vom Niedermarkt - Gut zu erkennen ist "Donners Gast- und Logier-Haus zur Fruchtbörse".
- 2001: Einweihung des „Stiefelbrunnen“ an der Ecke der Breite Straße, Das Brunnenmotiv erinnert an den Döbelner Riesenstiefel, der zum 600-jährigen Bestehen der hiesigen Schuhmacherinnung geschaffen wurde.
Es gäbe noch vieles über die schön gestalteten Häuser am Niedermarkt zu berichten. Wir wollen uns jedoch auf zwei Sachen beschränken, die mit den derzeitigen Umgestaltung des Niedermarktes im Zusammenhang stehen..
Bei den Tiefbauarbeiten der Straßenbauer und Pflasterer waren auch archäologische Sicherungsmaßnahmen zu beobachten. Als die Bagger das vorgesehene Abtragungspensum in einer Bodentiefe von 60 bis 80 Zentimetern erreicht hatten, richteten sich die wachsamen Augen der Archäologen auf die sichtbar gewordenen Bodenschichten. Kratzer, Schaufeln und Kehrbesen legten beachtenswerte Relikte frei, die vermessen und fotografiert wurden. Im nordöstlichen Marktbereich traf man auf mittelalterliche Abwasserkanäle und Einläufe, deren Gefälle nicht zur Mulde verlief. Die zugehörigen Sammler fand man nicht, dafür Scherben aus spätmittelalterlicher Zeit und Krimskrams aus dem 18. Jahrhundert: einen Puppenkopf aus Steingut, Murmeln und Zeitungsreste. Zu Tage traten ebenfalls alte Brandschichten und Pflasterungen in unterschiedlichen Pflasterhorizonten. Ein Beweis, dass das Gebiet mehrfach aufgeschüttet und erhöht wurde.
Neben den Grundmauern des Eckhauses Niedermarkt 30 (früher Theatercafe Hollencamp) wurden Gebäudegründungen entdeckt, die sich 700 Jahre rückdatieren lassen. Besagtes Haus, nun in gute bauherrliche Hände gekommen, wird wieder ein schmuckes Aussehen erhalten und vielleicht hält irgendwann wie einst in der ersten Etage einen Café Einzug.
Ein besonderer Fund wurde bei tieferen Schachtungen zwischen „Capitol“ und „Stadttheater“ gemacht. Hier stieß man auf die Fundamentreste der 1,2 Meter breiten Stadtmauer, die ja in Nord-Süd-Richtung hinter dem Marstall nach Osten parallel zum Stadtgraben, der heutigen Theaterstraße, verlief.
Das besondere Augenmerk der Döbelner richtete sich auf die Grabungen im Bereich des Marktrondells. Nicht all zu tief unter der Oberfläche traten die Betongewölbedecken eines Tunnels zu Tage. Es war ein Luftschutztunnel aus dem Zweiten Weltkrieg - 1,2 x 2,0 Meter im Profil. Der in Süd-Nord-Richtung verlaufende ca. 80 Meter lange Gang hatte einen Grundriss wie ein langgestrecktes „S“ mit geraden Schenkeln. Die herabführenden Treppen an den Gangenden waren verfüllt. Verwunderlich ist nur, dass dieses Kriegsrelikt bislang aus dem gemeinschaftlichen Bewusstsein verschwunden war. Nun jedenfalls wurde das Gangsystem zertrümmert und für den Platzaufbau verfüllt.
Abschließend wollen wir ein besonderes „Beiwerk“ der Marktumgestaltung hervorheben. Am 14. Juni 2005 fand die feierliche Grundsteinlegung für das erste Teilstück der neuen Trasse der Döbelner Pferdebahn statt. Die mit der Umgestaltung mögliche zeitgleiche Verlegung der Schienen erwies sich als besonders kostengünstige Variante. Das erste Teilstück verläuft vom Ende der Bäckerstraße bis zum Stadttheater. Das zweite Teilstück führt in die andere Richtung. Ab Herbst 2005 wird von der Bäckerstraße über den Obermarkt bis zur Großen Kirchgasse verlegt.
Wenn die Standorte von Pferdebahnmuseum und Depot geklärt sind - es wird sicher auch eine Frage des Geldes sein - ist eine Trassenführung durch die Theaterstraße bis hin zum ehemaligen Kindergarten Niederwerder und am östlichen Ende bis zum Lutherplatz geplant. Drei Wagen sind schon vorhanden, einer davon ist fahrbereit und zwei weitere werden rekonstruiert. Im Jahre 2007 soll Döbelns neubelebte Pferdebahn zu besonderen Anlässen durch Döbelns „gute Stube“ - den inzwischen herausgeputzten Obermarkt rollen. Wir dürfen gespannt sein!
Gerhard Heruth
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Mitgliederinformation Nr. 29
Dezember 2005