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Döbelner Fassfabrik

  • Gustav Schauer gründet 1850 die Fassfabrik in der Sörmitzer Straße, obwohl in Döbeln schon 14 Böttcherhandwerksmeister ansässig sind.
  • Schauer stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe Döbelns. Er wächst in armen Verhältnissen auf und macht eine Lehre als Böttcher. Durch Heirat kommt er in den Besitz einer kleinen Landwirtschaft. Tagsüber beschäftigt ihn diese. Nach der Arbeit auf dem Feld widmet er sich dem Böttcherhandwerk. Die Qualität seiner Arbeit spricht sich schnell herum, er erhält immer mehr Aufträge für die Herstellung von Fässern, Kühlschiffen und Bottichen.
  • Der Betrieb wächst schnell und ist für gute Qualität bekannt. Die Berliner Aktienbrauerei bestellt Fässer im Wert von 35 000 Talern, die Aktienbrauerei in Stockholm für 28 000 Taler, die "Frydenlundsche Aktienbrauerei" in Christiania für 36 000 Taler. Schauer liefert Fässer an die Felsenkellerbrauerei im Plauenschen Grunde bei Dresden, die Aktienbrauerei zu Schloßchemnitz bei Chemnitz, die Vereinsbrauerei in Leipzig, die Aktienbrauerei in Plauen, die Sozietätsbrauerei zum Waldschlößchen bei Dresden, die Aktienbrauerei in Koburg, die Sozietätsbrauerei in Gorkau bei Breslau, die Brey'sche Aktienbrauerei in Mainz, die städtische Brauerei in Hannover, die englische Brauerei in Celle und die Brauerei von F. Ettler in Weißenfels. Auch die Petersburger Brauerei von Louis Fritze u. Comp. in Russland und die Brauerei von Faltin in Riga werden von Döbeln aus beliefert.
Fassfabrik von Gustav Schauer in der Sörmitzer Straße in Döbeln (Druck und Verlag von Louis Oeser in Neusalza, Album der Sächsischen Industrie, Zweiter Band, 1856, Public domain, via Wikimedia Commons) Die Fabrik liegt in der Nähe der Freiberger Mulde. Zum Areal gehören das Wohnhaus Schauers mit Kontor und angebautem Stallgebäude für Pferde und Kühe, zwei Arbeitsgebäude, ein Schuppen und eine Scheune. Des Weiteren werden ein Garten und Felder bewirtschaftet. Von einem Felsvorsprung im hinteren Bereich des Grundstücks hat man eine gute Aussicht auf die Stadt Döbeln.
Medaille für verdienstvolle Gewerbetreibende
  • Arbeitet Schauer 1854 noch mit 25 Gesellen, steigt die Zahl der Arbeiter 1856/57 auf 50 bis 60 und 1858/59 auf 150. Aus der Werkstatt wird eine Manufaktur. Für seine Bemühungen erhält der Firmengründer 1859 eine Verdienstmedaille. Auf der Vorderseite befindet sich der "Genius des Friedens" mit der Inschrift "Unter dem Fittige des Friedens erblühen die Gewerbe". Auf der Rückseite steht, von Eichenlaub umschlungen "Für den Verdienst um Gewerbe".
  • In der Fassfabrik werden im Jahre 1857 Gefäße von zusammen 210 000 Eimern, im Jahre 1858 Gefäße von zusammen 160 000 Eimern und im Jahre 1859 Gefäße von zusammen 120 000 Eimern (1 Eimer = 70 Liter) gefertigt.
  • 1861 wird das größte Fass der Firmengeschichte an den Auerhammer bei Schneeberg für ein Gasometer ausgeliefert. Es soll 4733 Eimer (1 Eimer = 70 Liter) gefasst haben, also 1300 Eimer mehr Inhalt als das berühmte Heidelberger Fass. Die Fertigstellung würdigt man mit einem Fest auf dem Obermarkt.
  • Gustav Schauer versteht sich auf Publicity. Er führt Böttcherumzüge ein. Einmal im Jahr ziehen seine Gesellen in Verkleidung von der Sörmitzer Straße zur Schießwiese (heute Steigerhausplatz). Sie führen Reifentänze auf und präsentieren dem Döbelner Publikum ihre Böttcher-Erzeugnisse. Auf dem Festplatz wartete ein großes Fass, in dem man speisen kann, während Musikanten zum Tanz aufspielten.
Ölbild "Schäfflertanz" v. H. Taefflinger zeigt einen Reifenschwinger vor dem Haus des damaligen Bürgermeisters Schwabe auf einem 210-Liter-Faß, unten mittig handschr. signiert "H. Taeffltnger pinxit 1858", 70 x 90 cm (Stadtmuseum Döbeln)
  • Das Geschäft der Firma läuft so gut, dass sie sich einen eigenen Lagerschuppen am Bauchlitzer Bahnhof leisten kann. Die Fabrik besitzt fünf Nietmaschinen, die durch Menschenkraft in Bewegung gesetzt werden müssen. 1861 werden 65 Böttcher und 15 Zimmerleute, Stellmacher und andere Handwerker beschäftigt. Die Fassfabrik bezahlt gute Löhne, 1870 zwischen 8 und 9 Taler pro Tag.
Emsige Betriebsamkeit auf dem Hof der Fassfabrik, 1861
  • 1887 geht die Firma nach dem Tod Gustav Schauers an Curt Ad. Voigt über und nennt sich nun "Döbelner Fassfabrik von A. Voigt - Fabrik für Bottiche, Lager- und Transportfässer und Fassholzhandlung".
  • Eine wichtige Rolle im Unternehmen spielt in den 1880er und 1890er Jahren Bernhard Schwerdtfeger. Als Prokurist der Firma war er zeichnungsberechtigt und für den Erfolg der Fassfabrik verantwortlich. Auf einer Geschäftsreise lernt er den Erfinder des Brauerpechs, Gustav Engelrath, kennen. Mit Brauerpech werden Bierfässer aus Eiche abgedichtet, damit der Kontakt des Bieres mit dem Eichenholz nicht den Geschmack beeinträchtigt. Schwerdtfeger erkennt, dass die Fassfabrik ohne Brauerpech bei Brauereien keine Fässer mehr absetzen kann. Mit der "Döbelner Patent-Siederei Otto & Schwerdtfeger" 1890 versucht er sich selbst als Unternehmer in der Brauerpech-Branche.
Anschreiben aus dem Jahr 1887 mit dem die Geschäftsübernahme durch Curt Ad. Voigt bekanntgegeben wird.
  • Am 16. Dezember 1892 vernichtet ein Großfeuer in der Sörmitzer Straße 2000 Fässer der Fabrik.
  • Am 25. November 1899 beginnt ein mehrmonatiger Streik der Böttcher, der von der Gewerkschaft und der SPD unterstützt wird. Die Arbeiter können eine Lohnerhöhung um 20% durchsetzen.
  • Die Firma versendet 1901 das 68 000. Lagerfaß.
Werbeanzeige aus dem Jahr 1910 (Darstellung der Fabrik in der Döbelner Feldstraße)
  • Der Achsenfabrikant Wilhelm Haupt übernimmt die Firma 1902/03. Unter ihm erlebt das Unternehmen einen Aufschwung, baut nun vor allem große Fässer und Bottiche, aber auch Kühlschiffe, Fässer für Photogenfabriken, Bassins für Gasbereitungsanstalten und -als erste Firma im Deutschen Reich- Laugentürme für die Zellulose- und Papierfabrikation in Höhe von 35 bis 40 Metern. Das Absatzgebiet erstreckt sich bald über ganz Sachsen, später über ganz Deutschland und das europäische Ausland. So exportiert man zum Beispiel nach Belgien, Holland, Schweden, Russland, Polen, Österreich-Ungarn, Rumänien und die Schweiz.
  • Am 01. Januar 1904 werden viele Maschinen der Fassfabrik an der Sörmitzer Straße durch einen Brand vernichtet. Haupt verlegt die Firma in einen Fabrikneubau in die Feldstraße 17 und investiert in neue Maschinen. Dadurch werden nur noch wenige gelernt Böttcher gebraucht. Arbeiter und hochqualifizierte Monteure, die die Maschinen bedienen und reparieren können, sichern die Produktion. Aus der Manufaktur wird endgültig eine Fabrik.

Einige Gebäude der Fassfabrik existieren heute noch in der Feldstraße und werden zu Wohnzwecken genutzt (Foto: 2023).

  • Ein weiterer Vorteil des neuen Standorts ist die Nähe zum Hauptbahnhof. Der Transport riesiger Tonnen und Bottiche von der Sörmitzer Straße durch die ganze Stadt war zwar für die Döbelner eine sehenswerte Attraktion. Betriebswirtschaftlich sind lange Transportwege natürlich eher suboptimal.
  • Eine Zellulosefabrik in Mannheim (heute BASF) bestellt 1905 sieben Bottiche von je 5000 Hektolitern Inhalt (1 Hektoliter = 100 Liter). Die Höhe eines jeden Bottichs beträgt sieben Meter, die untere lichte Weite 9,20 m, die obere 10 Meter. Die gebogenen Seitenbretter (Dauben), aus slawonischer Lärche gefertigt, sind 100 mm stark, die Böden 162 mm. Zehn eiserne Reifen halten den Bottich zusammen. Die Fabrik zählt vor dem Ersten Weltkrieg zu den bedeutendsten Unternehmen ihrer Branche.
  • 1918 verstirbt im Alter von 64 Jahren Fassfabrikant Wilhelm Haupt.
  • Nach dem Ersten Weltkrieg geht die Nachfrage zurück. Ein Grund hierfür ist u.a., dass Bier immer häufiger in Fässern aus Stahl, Aluminium oder Beton gelagert wird. In der Brauindustrie werden kleine Brauereien von Großbrauereien übernommen, die meist in Großstädten ansässig sind und hier eigene Fass-Zulieferer haben. Die Lieferung von Fässern aus Döbeln nach Leipzig oder Dresden wäre schlicht zu teuer.
  • 1928/29 wird der Betrieb eingestellt. 79 Jahre währt die Geschichte der Döbelner Fassfabrik, die in ihren besten Zeiten zu den größten ihrer Art in Deutschland zählt. Die Gebäude in der Feldstraße werden von Arno Schönfeld übernommen, der mit seiner "Zuckerwaren-, Marzipan- und Mandelpräparate-Fabrik" expandieren möchte.
  • Den alten Standort der Fassfabrik in der Sörmitzer Straße nutzt viele Jahre der Stadtbauhof.
  • Nach der Schließung der Fassfabrik gibt es nur noch wenige Böttcher in Döbeln, die ihrem Handwerk meist in kleineren Werkstätten nachgehen. In den 1930er Jahren gehörten dazu Louis Geßner (Dresdner Str. 48), Franz Herbst (Marktstraße 11), Julius Ihle (Schießhausstraße 20), Robert Ueberschär (Am Viadukt, später Staupitzsteg 3). Der letzte Betrieb, der in Döbeln Fässer und Bottiche herstellt, ist der von Max Hälßig (Mastener Str. 32).

© Michael Höhme, "Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.

Quellen:
Pressausschuss für das Heimatfest (Hg.): Aus der Heimat. Festschrift zum Heimatfest. Döbeln 20.-22. Juni 1914, S. 92
Stockmann, Gottfried: Die Stadt Döbeln als Standort der Industrie. Borna Leipzig 1928, S. 92ff.
Materialsammlung Karlheinz Enzmann (nicht veröffentlicht)
Friedel, Günter: Nach Böttcherumzug schmausen im großen Fass. DAZ 18.09.2001
Wolf, Matthias: 5000 Hektoliter in einem Bottich. In: DA 23.03.2005

Bildnachweis:
Fassfabrik 1861 – Stadtarchiv Döbeln
Werbeanzeige 1910 - Schwender, Carl Clemens: Döbeln in Sachsen in Wort und Bild. Döbeln 1910
Alle Abbildungen/Fotos ohne Vermerk stammen aus der „Sammlung Döbeln“ von Michael Höhme.