Verordnete Ordnung
Ordnung war und ist das halbe Leben - auch in Döbeln
Als vor langer Zeit die letzten römischen Besatzungssoldaten unser altes Germanien verlassen mussten, hatten sie vieles aus ihrem Kulturkreis hinterlassen. Bauten und manches Kunstwerk erinnern uns noch heute an jene Zeit. Auch Worte ihres Sprachschatzes, das Latein schlechthin, sind bei uns bekannt. Aber wohl keine römisch-lateinische Vokabel hat sich bis heute im deutschen Sprachgut so nachhaltig und für die Allgemeinheit so prägend ausgewirkt, wie das Wort „ordo“ - die Ordnung.
Heute gibt es keinen Bereich im menschlichen Leben und Wirken, der nicht durch eines oder mehrere Gebote, Verordnungen, Gesetze oder Festlegungen geregelt wird, die Kraft amtlicher Beschlüsse zu beachten bzw. zu befolgen sind. So steht auf unserem Lebensweg am Anfang die Hausordnung der Geburtsklinik und am Ende gilt es, sich der Friedhofsordnung zu fügen.
Ordnung, Disziplin und Manneszucht prägten das Staatsgefüge. Nicht nur im Sport sieht man sie heute noch als deutsche Tugenden an. Der vorgeschriebene Tugendpfad des Lebens ist oftmals sehr schmal, so eng und begrenzt wie der von uns wahrgenommene Horizont vieler deutscher Amtsstuben, in denen die Verordnungen ersonnen und zu Papier gebracht werden. Die oft eng gesetzten Grenzen behindern dabei erfahrungsgemäß das fortschrittliche Ideengut der Bürger, engen ihre Freiheiten ein und bieten andererseits für Ordnungsverletzer genügend Schlupflöcher, die wiederum durch neue Verordnungen gestopft werden müssen.
Doch werfen wir nun einen Blick auf eine kleine Auswahl von Verordnungen, die früher in Döbeln das Leben der Bürger regelten. Damals, als alles noch „viel besser“ als heute war. Nehmen wir das Folgende alles mit einem vergnüglich zwinkernden Auge ins Visier.
Ordnung ist das halbe Leben - oder doch das Ganze. Diesen Eindruck könnte man fast bekommen, wenn man merkt, dass alle Lebensbereiche in Döbeln in allen Zeiten streng geregelt sind.
Stadtordnung
Am 10. Januar 1825 verkündete der Döbelner Stadtrat eine Stadtordnung, die auf landesherrlichen Gesetzen basierte. Vierzehn Verfügungen, einst Regulativ genannt, sollten unter Androhung von Geldstrafe oder entsprechender Haftzeit im Gefängnis das gesellschaftliche Leben in der Stadt ordnen. Nach Auflagen für den Aufenthalt in der Stadt, zu familiären Festlichkeiten, zur Reinigung der Straßen und Wege vor den Häusern im Sommer wie Winter, lesen wir unter Punkt 8 der Ordnung:
„Bei ebenmäßiger Strafe ist verboten, Gefäße voll Unflath in die Straßenwinkel oder gar auf die Straßen und öffentlichen Plätze zu schütten oder ein Nachtgeschirr zu irgendeiner Zeit aus den Fenstern der Häuser zu gießen!“
Und Ordnungspunkt 14 schließt das Regulativ ab: „Das Zerschlagen tönerner Geschirre des nachts vor der Trauung neuangehender Eheleute - sogenannter Polterabend - ist ungestattlich.“ Diese Unsitte wurde am 12. Juni 1860 vom Stadtrat nochmals verboten! Am 31. Mai 1862 wird das ungebührliche Peitschenknallen der Fuhrleute in der Stadt verboten - heute zieht man wegen Fluglärm in der Nacht vor das Bundesgericht!
Ab 1876 werden die Familiennamen der neugeborenen Döbelner nicht mehr wie bisher von den Pfarrern notiert, sondern alphabetisch auf einem Standesamt erfasst. Weiter hieß es im Oktober 1878: „Behufs der Aufstellung der Cataster für die Stadtanlage“ sollen alle in den Häusern der Stadt wohnenden Personen über 14 Jahren bis zum 16.11. jenen Jahres nummeriert und mit Vor- und Zuname, Stand oder Gewerbe erfasst werden. Ein Jahr zuvor brachte man Straßenbenennungsschilder an, aber erst zehn Jahre später wurden die Hausnummern nicht mehr nach Kataster, sondern straßenweise vergeben.
1889 wird eine Verordnung für Hundefuhrwerke erlassen und die für diesen Einsatz befähigten Hunderassen benannt. Der für den Hund erforderliche Beißkorb darf nur während der Fahrt abgenommen werden! Schon 1876 wurde verfügt: „Leiter von Hundefuhrwerken haben jederzeit an der Deichsel zu sein und dürfen nicht auf dem Fuhrwerk sitzen. Bei Zuwiderhandlung drohen 20 Mark Geldstrafe oder entsprechend Haft!“
Ab 1894/95 war wieder einmal die Sonntagsruhe der Bürger im Fokus des Stadtrates: Verboten wird das Viehtreiben zum Schlachthof, Handel und Gewerbe haben an Sonntagen Ruhe! Die letzte Thematik beschäftigt auch heute noch die Gemüter!
Im September 1898 wird verordnet: „Das Wegwerfen von Papierresten und anderer Abfälle auf die Straße kann mit einer Geldstrafe bis zu 60 Mark oder Haftstrafe bis zu 14 Tagen bestraft werden!“ Würde man dieses Vergehen heute dergestalt ahnden, brauchte sich der Stadtkämmerer keine Sorgen um reichliche Einnahmen zu machen.
Anfang 1914 werden „Unsitten bei Tanzvergnügungen“ verboten: „Jede vollständige oder erhebliche Verfinsterung des Saales, jedes Tanzen in sittlich Anstoß erregender Weise, wie z. Bsp. Schiebe-, Wackel- und Knicktänze oder Mondscheinwalzer können eine Strafe von 150 Mark oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft werden!“ Welches Strafmaß würden die Sittenwächter von damals wohl heute aussprechen, müssten sie den heutigen Table Dance oder gar Striptease abstrafen?
Auch in Not- und Kriegszeiten war strikte Ordnung im zivilen Leben oberstes Gebot. Aus dem Jahre 1943 ist bekannt: „Geschäfte dürfen nur Lebensmittel-Attrappen in die Schaufenster legen, jedoch sie müssen mit Preisen versehen sein!“
Diese kleine Auswahl von Anordnungen Döbelner Stadträte möge genügen, zumal es bis heute genügend Nachschub von solchem „Schriftgut“ gibt. Werfen wir noch einen Blick auf andere Bereiche des Döbelner Lebens:
Pferdebahn
Die Jungfernfahrt der Traditionspferdebahn im Juni 2007 in Döbeln gibt uns Anlass, in die Betriebsordnung des Originales dieser Bahn aus den Jahren 1892 - 1926 zu schauen, immerhin ein Regelwerk mit 18 Paragraphen:
- §5 Die Kutscher haben die von den Unternehmern eingeführte Dienstkleidung, sowie eine Nummer an der Kopfbedeckung zu tragen.
- §7 Die Kutscher haben sich stets im nüchternen Zustand zu erhalten, gegen die Fahrgäste und das Publikum bescheiden und anständig zu benehmen, insbesondere sich auch im Dienst des Tabaksrauchens zu enthalten.
- §8 Das Tabakrauchen von Fahrgästen ist nur auf der Außenplattform der Wagen gestattet. Das Singen und Lärmen ist den Fahrgästen untersagt.
- §18 Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen werden, sofern nicht unter strengere Strafvorschriften fallend, mit Geldstrafe bis 150 Mark oder mit Haft bis 14 Tage bestraft.
Nun, beim Traditionsbetrieb auf der Innenstadtstrecke von heute müssten vor allem Verordnungen gegen motorisierte Bürger erlassen und vollstreckt werden, die mit Vorliebe und Ausdauer auf den Schienen parken.
Geschäftsleben
Arbeitsanordnungen gab es in allen Betrieben, Manufakturen und Comptiors. Hier einige Beispiele zur Erbauung:
- Das Personal braucht nur noch an den Wochentagen zwischen 6 Uhr vormittags und 6 Uhr nachmittags anwesend sein. Der Sonntag dient dem Kirchgang.
- Es wird von jedermann die Ableistung von Überstunden erwartet, wenn das Geschäft sie begründet erscheinen läßt.
- Während der Bureaustunden darf nicht gesprochen werden.
- Ein Angestellter, der Zigarren raucht, Alkohol in irgendwelcher Form zu sich nimmt, Billardsäle und politische Lokale aufsucht, gibt Anlass, seine Ehre, Gesinnung, Rechtschaffenheit und Redlichkeit anzuzweifeln.
- Die Einnahme von Nahrung ist zwischen 11.30 Uhr und 12.00 Uhr erlaubt, jedoch darf die Arbeit dabei nicht eingestellt werden.
Zum Abschluß sei die Großzügigkeit dieser neuen „Bureau-Ordnung“ betont, indem man formulierte: „Zum Ausgleich wird eine wesentliche Steigerung der Arbeit erwartet!“ So war das also in der guten alten Zeit und manchem wird wohl der Wunsch nach Wiederkehr beim Lesen dieser wenigen Beispiele vergangen sein!
Und heute? Die Bürokratie hat uns mehr denn je im Griff. So lesen wir in einem Kommentar zum Bundesreisekostengesetz: „Stirbt ein Bediensteter während einer Dienstreise, so ist damit die Dienstreise beendet.“ Fehlt eigentlich nur noch der Zusatz: „In diesem bedauerlichen Fall ist ein Umsteigeticket für die Himmelfahrt erforderlich".
Auch in Sachsen sind die „Verordner“ bis heute nicht müßig. So wurde die seit 1954 bestehende Hufbeschlags-Zuständigkeitsverordnung (HufBeschlZuVo) neu formuliert. Allerdings ist zu vermuten, dass die Zahl der sich damit befassenden Beamten höher als die der berechtigten Hufschmiede ist.
Schule
Mit Verordnungen zur Ordnung muss sich ein Staatsbürger beizeiten vertraut machen und geschult werden - wenn er die Schule besucht. Schauen wir also kurz in die Schulordnung des Realgymnasiums zu Döbeln:
Dieses wurde im Jahre 1917 verordnet:
- §8 Glaubt ein Schüler, dass ihm von seinem Lehrer Unrecht geschehen sei, so hat er außerhalb der Klasse, und zwar stets im Tone der Bescheidenheit, seine Rechtfertigung anzubringen. Streng ist jede Art von Einrede oder Widerspruch in Gegenwart anderer Schüler verboten.
- §13 Schülern der Sexta (5. Klasse) bis Untersekunda (10. Klasse) ist der Besuch von Schankwirtschaften und Konditoreien innerhalb der Stadt untersagt, außer, wenn sie sich in Begleitung der Eltern oder Pfleger befinden.
- § 15 Die Beteiligung an öffentlichen Tanzvergnügungen ist untersagt. Zur Teilnahme an Bällen und Tanzkränzchen in Gesellschaften und Familien ist in jedem Falle die Genehmigung des Klassenlehrers und Rektors, zum Besuch des Theaters, von Vorträgen und Schaustellungen ist die Erlaubnis des Klassenlehrers erforderlich!
Also bemühen Sie sich künftig redlich und bleiben Sie immer und überall ein ordentlicher Mensch! Wenn allerdings eingangs behauptet wurde, dass Ordnung das halbe Leben ist, so erhebt sich doch die bange Frage, was bestimmt eigentlich die andere Hälfte des Lebens?
Gerhard Heruth
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Mitgliederinformation Nr. 36
Mai 2009
Die historischen Döbelner Aufnahmen stellte uns freundlicherweise Herr Sven Ettrich aus seiner bemerkenswerten Sammlung www.döbeln.de zur Verfügung. Ein Besuch lohnt sich!