Bürgergarten
1904 beginnt die Geschichte des Döbelner Naherholungsgebietes - mitten in der Stadt.
„Bürger und Stadtväter beraten bei einem Workshop über die Zukunft der historischen Parkanlage 'Bürgergarten' in Döbeln“ konnte man kürzlich in der Zeitung lesen. Das sind gute Nachrichten und es bleibt zu hoffen, dass der in Döbeln beliebte Bürgergarten schnell wieder an Attraktivität gewinnt. Verdient hat er es allemal, blickt die Anlage doch auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück.
Das einst sumpfige Gelände mit Teich und Tümpeln wird vor 1900 vornehmlich von der städtischen Brauerei genutzt. Die entnimmt dem Teich in strengen Wintern Eisblöcke, die in Brauereikellern unter Sägespänen gestapelt werden und so bis in den Sommer hinein überdauern. Dann konnten sie als Kühlmittel fürs Bier genutzt werden. Auch werden die Wiesen um die Wasserlöcher von den Döbelnern zum Viehaustrieb genutzt. Für Gänse und Schweine sind die feuchten Wiesen sicher ein kleines Paradies. So weit, so unspektakulär.
Irgendwann um die Jahrhundertwende macht man sich im Rathaus immer mehr Gedanken, wie man die aufstrebende Kleinstadt an der Mulde noch attraktiver gestalten kann und es entsteht die Idee einer künstlichen winterlichen Eisbahn. Das städtische Bauamt stellt im Sommer des Jahres 1902 fest: „Die neben dem Brauereiteich gelegene Wiese dürfte sich zur Anlegung einer Eisbahn am besten eignen, da hier lehmiger Untergrund vorhanden zu sein scheint und durch nicht zu umfangreiche Abgrabungen und durch die Anschüttung eines Dammes eine größere horizontale Fläche hergestellt werden kann. Die Wasserzuschüsse können aus dem Saubachgraben leicht entnommen und nach dem Brauereiteich abgeleitet werden."
Bilder aus der Anfangszeit - der „Kneißsche Rosengarten"
Am 7. November 1903 entscheidet der städtische Rat, die Eisbahn für vorerst sechs Jahre und zur ganzjährigen Nutzung an den Steinsetzmeister Hermann Kneiß zu verpachten. Kneiß hat weitreichende Pläne, die er in der Folge auch umsetzt. Dem Stadtrat schreibt er 1904: „Ich habe ferner die Absicht, den Teich, auf welchem sich die städtische Eisbahn im Winter befindet, im Sommer angespannt [angestaut] zu lassen, denselben mit Fischen zu besetzen und außerdem auf demselben einige Gondeln zur Benutzung des Publikums zu halten. Mit gütiger Unterstützung des geehrten Stadtrates würde ich die Umgebung des Teiches mit Wegen und gärtnerischen Anlagen versehen, so dass dieser Platz eine Zierde für die Stadt Döbeln wäre. Die gärtnerischen Anlagen, sei es in Rabatten oder Arabeskenform, würde ich mit Rosen, von welchen ich selbst Züchter bin, besetzen, und würde bei schlechten Jahren durch den Blumenschnitt etwas Einnahme als Entschädigung erhalten. Bei schönen Tagen könnten dann Konzerte gegen mäßiges Entree (10 Pfg.) und ohne Bierzwang auf der im Teiche gelegenen Insel abgehalten werden und habe ich die Überzeugung, dass das Publikum von Döbeln diese Einrichtung mit Freuden begrüßen würde."
(1) und (2) - Werbeanzeigen aus dem Jahr 1910
(3) Kneiß-Linde und Inschrift auf der erneuerten Stifterbank - Foto: S. Höhme, 2020
Der Stadtrat genehmigt das Gesuch von Hermann Kneiß, verlängert den Pachtvertrag auf 10 Jahre und der schafft die Grundlage dessen, was uns heute vor Augen ist, wenn wir an den Bürgergarten denken.
Bereits vor dem Auslaufen des Pachtvertrages mit Kneiß lässt die Stadt Döbeln untersuchen, was aus dem Bürgergarten werden könnte. Kneiß sieht allein darin groben Undank, hat er doch als Pächter Pionierarbeit geleistet und mit viel persönlichem Engagement das Areal erst zu dem gemacht, was es jetzt ist. Schon bald kommt es zur Auseinandersetzung zwischen der Stadt und Kneiß. Immer dann, wenn es nicht mehr um die Sache, sondern nur noch darum geht, wer Recht hat, gibt es am Ende meist nur Verlierer. So auch hier. Kneiß entnimmt alle seine Anpflanzungen und zieht sich verärgert zurück. Er erhält zwar für die Schankstätte samt Zubehör 1000 Mark Entschädigung, fühlt sich aber dennoch um seinen Lebenstraum betrogen. Erst 1931, zu seinem 80. Geburtstag, wird das Kriegsbeil begraben. Auf Vorschlag des Verschönerungsvereins stiftet man Kneiß im Bürgergarten an seinem Lieblingsplatz eine Ruhebank, die Stadtverwaltung pflanzt eine Linde, die fortan als „Kneiß-Linde“ bezeichnet wird. Kneiß stirbt am 28. Januar 1938. Er kann als Gründervater des Döbelner Bürgergartens bezeichnet werden.
Er legt Wege und Beete an, kauft 1906 zur Erweiterung der Anlage vom Kaufmann Gustav Thiemann den angrenzenden Hang, lässt Bäume und Sträucher pflanzen und ein kleines Schankhäuschen bauen. Besonders das letzte macht den Bürgergarten fortan zu einem beliebten Ausflugsziel. Kneiß verkauft allein im zweiten Kalenderviertel 1906 12 695 Flaschen Lager- und Einfachbier.
Aber nicht nur der Gestensaft lockt die Döbelner in den Bürgergarten. Es ist letztlich ein Zufall, dass der Steinsetzmeister Kneiß Rosen liebt. Für den Bürgergarten ist das ein großes Glück, denn Kneiß kann hier seinem Hobby frönen, hat endlich die Möglichkeit im großen Stil Rosen anzupflanzen. Aus seinem privaten Bestand zieht er tausende Rosen, so dass die Anlage an der verlängerten Friedrichstraße anfangs im Volksmund als „Kneißscher Rosengarten“ bezeichnet wird. Bis zu 8000 Rosen sollen es gewesen sein, die Kneiß geschickt in Beeten und Rabatten rund um den Teich in Szene setzt. Im Juni und Juli muss der Bürgergarten ein duftendes Blütenmeer gewesen sein.
Der Name „Bürgergarten“ wird übrigens am 9. April 1907 auf Beschluss des Döbelner Stadtrates festgelegt. Vielleicht will man so deutlich machen, dass Kneiß nur der Pächter, nicht aber der Besitzer der Anlage ist. Ein Konflikt, der 1915 offen aufbricht, zeichnet sich hier schon ab. Doch noch scheint die Sonne über dem Döbelner Bürgergarten.
Der Stadtverschönerungsverein errichtet auf eigene Kosten eine Schmuck- und Schutzhalle in halber Höhe am westlichen Hang. Genutzt wird diese vornehmlich als Musikpavillon bei den beliebten Konzerten des Stadtorchesters.
Doch auch ohne Hermann Kneiß geht es mit dem Bürgergarten weiter. 1928 wird am Gondelteich eine Sommerschankhalle im Fachwerkstil eröffnet. Im Mai 1939 nimmt man eine Leuchtfontäne in Betrieb. In der Mitte des Teiches erhebt sich eine 15 Meter hohe Wassersäule, die von drei Scheinwerfern beleuchtet wird. Darüber laufende Farbbänder erzeugen ein Lichtspektakel, das besonders am Abend eine beeindruckende Wirkung entfaltet. Für die Soldaten und Offiziere der angrenzenden Kaserne ist der Bürgergarten mit seinen kleinen Attraktionen ein beliebtes Ziel. Allein oder mit der Familie findet man hier Ruhe und Ablenkung vom grauen Armeealltag, später bei einigen Tagen Fronturlaub vom zermürbenden Kriegsgeschehen.
Nach dem Krieg haben der Erhalt und die Pflege des Bürgergartens natürlich nicht erste Priorität. Die Menschen plagen andere Sorgen. Aber für das Jahr 1956 vermerkt die „Chronik 2000“: „Die Umgestaltung des Bürgergartens zu einem Volkspark schreitet voran. Ständig finden Arbeitseinsätze statt, Betriebe und Institutionen beteiligen sich. Die Drainage für die zukünftige Tanzfläche ist fertig. Der Bau der Gründungsmauer, die die Tanzfläche umschließt, hat begonnen, ebenso der Bau eines Planschbeckens und der Teichmauer. Die alte Teichmauer wurde gesprengt. Kabel werden verlegt und Lichtmasten gesetzt.“
Im August 1956 eröffnet an der neu gebauten Tanzfläche die „HO Einkehrstätte“ (HO = staatl. Handelsorganisation der DDR). Um die Attraktivität weiter zu erhöhen, stellt man in einer Blumenrabatte die Plastik „Ein musizierender Knabe“ des bekannten Döbelner Bildhauers Otto Rost auf. Arbeiten von ihm findet man auch vor und im Döbelner Stadtbad sowie auf dem Niederfriedhof.
Immer wieder gibt es neue Gestaltungsideen. Am 15. August 1962 wird im Bürgergarten eine Freilichtbühne eröffnet. Als Premiere führte das Kreistheater die Oper „Madame Butterfly“ auf. Viele Döbelner verbinden mit der Freilichtbühne Erinnerungen an ihre Jugend. Hier finden Sommerfilmtage und Konzerte statt, von denen man noch heute erzählt. Durch die Freilichtbühne gelingt es, auch die Döbelner Jugend in den Bürgergarten zu locken.
Ansonsten bleibt die Anlage insbesondere ein Refugium für Familien. Ein kleines Gehege mit Bergziegen, eine Voliere mit exotischen Vögeln, Trauerschwäne und Mandarinenten machen den Bürgergarten zu einem beliebten Ausflugsziel. Es kann ja nicht immer der Zoo in Leipzig sein. Mit den Kindern Enten füttern im Bürgergarten – auch nicht schlecht.
Die Stadt Döbeln würdigt die Beliebtheit des Bürgergartens am 7. Mai 1970 mit dem Beschluss, 1 530 000 Mark in den Bau einer Gaststätte zu investieren. Im Dezember 1972 wird das moderne Parkrestaurant für 250 Gäste eröffnet. Als zweiter Teil des neuen gastronomischen Komplexes folgt später ein Selbstbedienungstrakt. Die Gaststätte ist ein beeindruckender, moderner Bau mit einer großen Glasfront – ein echter Hingucker.
Parkrestaurant Bürgergarten, 80-er Jahre
Dass in unmittelbarer Nähe noch eine Blumenuhr und ein Großschachspiel errichtet werden, erhöht die Attraktivität der Parkanlage weiter. Auch die Fontäne in der Mitte des Teiches wird erneuert und mit Wassertretern und Ruderbooten kann man sich für ein Stündchen als Kapitän fühlen. Der Bürgergarten – ein Ort zum Wohlfühlen – durchaus auch in der DDR.
Wie viele andere Gaststätten, hat der Bürgergarten nach der Einführung der D-Mark und der Wiedervereinigung große wirtschaftliche Probleme. Die Gäste bleiben aus. Das Restaurant muss schließen, steht leer und verfällt zusehends. 1995 muss es abgerissen werden. Vandalismus und die Vernachlässigung von Pflegearbeiten führen dazu, dass vom alten Glanz des stolzen Bürgergartens Mitte der 90er Jahre nur noch wenig übrig ist.
Das sollte sich ändern. Im Jahre 1996 wird von der Stadt Döbeln ein Architekturwettbewerb für eine neue Gaststätte ausgeschrieben. Diesen gewinnt eine Döbelner Firma, wobei neben einer Jury unter Leitung des Bürgermeisters Matthias Girbig auch die Döbelner Bürger mit einem Entscheidungsanteil von 40 % votieren. Entsprechend der Ausschreibung soll eine Gaststätte im ursprünglichen Holzbaustil mit Biergarten entstehen. Der erste Spatenstich erfolgt am 5. Mai 2000. Seit 2001 ist Lars Lemke Pächter, seit 2017 Eigentümer der Gaststätte. Er glaubt an den Bürgergarten und investiert. Der Wintergarten wird vergrößert und bekommt eine Glaseinfassung. Nun kann dieser auch in der kalten Jahreszeit für Feierlichkeiten genutzt werden. Ein neu errichteter Pavillon im Biergarten steht für Gruppen zur Verfügung und der großzügige Terrassen- und Loungebereich mit Windschutz und schattenspendenden Platanen lädt zum Verweilen ein. Wer die Gaststätte besucht, merkt schnell: Hier ist etwas auf gutem Weg.
Bürgergarten 2020 - Fotos: S. Höhme
Schön, dass nun, wie eingangs erwähnt, für den Bürgergarten weitere Verschönerungsmaßnahmen ins Auge gefasst werden. Hermann Kneiß, der vielleicht mit einem Auge auf seinen Bürgergarten herabblickt, würde es freuen. Eins vielleicht noch: Ein paar Rosen wären gut.
Michael Höhme
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
18.07.2020
Quellen:
Dieter Tennert / Gerhard Heruth: Mitgliederinformation"Traditions- und Fördervereines Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V., Nr. 12, Mai 1997
Dietmar Bensch: Der Bürgergarten – eine Parkanlage mit Tradition. In: Döbelner Mosaik 2001. Hg. Stadt Döbeln, S. 105-112. Beucha 2001