Feuerlöschgerätefabrik Julius Müller
- Nach seiner Gesellenzeit, die ihn u.a. nach Berlin führt, kehrt Gürtlermeister Ernst Julius Gottlieb Müller in seine Heimatstadt zurück und gründet hier 1849 eine Firma. Gürtler, auch Metalldrücker genannt, bearbeiten Eisen-, Blech- und Nichteisenmetallwaren. Müller produziert in seiner Werkstatt Beschläge und Bügel für Damenplüschtaschen, kleine Schmuckwaren aus Metall (Bijouteriewaren) und Pfeifenringe.
- Als Anfang der 1860er Jahre die Gelbgießerei des Kupferschmiedes Voigt gekauft werden kann, konzentriert sich Müller auf diese Produktionsausrichtung. Gelbgießer fertigen mittels Guss in Sandformen kleine Gegenstände aus Messing, die danach poliert und geschliffen werden. Zu den typischen Erzeugnissen gehören Knöpfe, Schnallen, Leuchter, Figuren, Beschläge, Glocken, Schellen, alle Arten von Hähnen, Ventile für Brennereien und Brauereien sowie Armaturen für die Feuerwehr.
- Julius Müller wird ab 1862 Obermeister der Gürtlerinnung, bis diese rund zwanzig Jahre später aufgelöst wurde.
- 1868 mietet der Firmengründer für sechs Taler jährlich Räume in der Niedermühle mit Kraftantrieb, z.B. für Drehbänke.
- 1872 baut Müller in der Bahnhofsstraße 71 am damals noch offenen Mühlgraben ein Haus (heute Blumen-ABC) und verlegt sein Unternehmen hierher. Das gesamte Erdgeschoss ist, mit Ausnahme eines kleinen Wohnraumes, der Produktion gewidmet. Später errichtet man in der Nähe ein Nebengebäude für Schmiede und Lackiererei. Erstmals in Döbeln kommt ein Gasmotor zum Antrieb der Maschinen zum Einsatz.
(1) Abbildung der Gebäude in der Bahnhofstraße 71 aus der Festschift zum 75. Firmenjubiläum - Hinter dem Haupthaus erkennt man das Nebengebäude für Schmiede und Lackiererei. Im Bereich der heutigen Rosa-Luxemburg-Straße querte der Mühlgraben der Niedermühle damals die Bahnhofstraße. Er nahm sein Wasser unterhalb des Schlossbergs auf, führte es parallel zur Mulde bis zur Niedermühle und mündete im Bereich des heutigen VW-Autohauses wieder in die Mulde.
(2) In der Bahnhofstraße 71 wird seit vielen Jahren das Blumen-ABC betrieben. (Foto 2023)
- Der älteste Sohn des Gründers, Otto Julius Müller, hat das Gelbgießerhandwerk gelernt. Nach langer Wanderschaft über Hamburg, Dänemark und Schweden kehrt er 1875 nach Döbeln zurück. Im selben Jahr wird in der Muldenstadt eine Ortsfeuerwehr gegründet. Die Firma Julius Müller engagiert sich in dem Zusammenhang durch den Bau von Feuerlöschspritzen. Bald konzentriert sich das Unternehmen ganz auf diese Produktion und erweitert den Betrieb um Abteilungen für Dreherei, Formerei und Klempnerei. Julius Müller wird schon bald "Spritzen-Müller" genannt.
- Relativ spät, am 4. Juli 1879, erfolgt eine erste Eintragung ins Handelsregister.
- 1879 erhält die Firma eine Patenturkunde für seine Konstruktion einer "einfachsaugenden und doppeltdrückenden Pumpe".
- Die Fabrik von Julius Müller und die Entwicklung der sächsischen Feuerwehr sind untrennbar verbunden. Auf dem sächsischen Feuerwehrtag 1879 erhält die Firma für seine Spritzen einen 1. und einen 2. Platz, auf dem XI. Deutschen Feuerwehrtag 1880 in Dresden einen Ehrenpreis. Der jüngere Sohn Müllers ist seit den 1880er Jahren städtischer Brandmeister Leipzigs.
- In den 1880er Jahren boomt das Geschäft. Julius Müller liefert seine Feuerlöschspritzen über die königlich-sächsischen Grenzen hinaus nach Nord- und Südamerika, China, Russland und den Orient. Bis zur Errichtung von Zollschranken sind das zaristische Russland und die Donaumonarchie die Hauptabnehmer Müller`scher Feuerspritzen; danach expandiert das Familienunternehmen auch nach Bulgarien und die Türkei.
Werbemarken der Firma Julius Müller: Neben Motorspritzen zur Brandbekämpfung stellt die Firma auch Fäkalienabfuhrwagen her. Mit einer patentierten pneumatischen Grubenabsaugung sorgt man für eine geruchsarme Entleerung von Jauchegruben.
- Nachdem er schon seit 1889 Teilhaber ist, macht Ernst Julius Müller seinen ältesten Sohn Otto Julius Müller 1894 zum Inhaber. Der setzt auf Innovationen. So gilt er als Erfinder des Equilibrium-System, mit dem man Wasser 70 Meter in die Höhe drücken kann. Zur Prüfung einer Handdruckspritze werden 1881 die Feuerwehrschläuche der Firma auf den Turm der Nicolaikirche gezogen. Von der werbewirksamen Aktion existiert eine Abbildung.
- Neben Feuerspritzen fertigt die Firma seit Mitte der 1890er Jahre äußerst erfolgreich Fäkalienabfuhrwagen nach einem besonderen Patent, Fahrgeräte für städtische und andere Behörden sowie motorisierte Spritzen. Die Qualität der Produkte wird wertgeschätzt. 1897 erhält die Firma zur Leipziger Gewerbeausstellung die silberne Medaille der Stadt Leipzig.
- 1899 begeht das Unternehmen sein 50. Firmenjubiläum. Immer deutlicher wird, dass der bisherige Standort in der Bahnhofstraße nicht zukunftsfähig ist. Ein benachbartes Gartengrundstück kann nicht für die Expansion der Firma verwendet werden, weil hier eine Straße (heutige Rosa-Luxemburg-Str.) gebaut werden soll. Man beginnt nach einem neuen Firmenstandort zu suchen.
- Die Spritzenfabrik liefert im Jahr 1900 eine komplette Ausrüstung für 36 Feuerwehrmänner, bestehend aus Technik, Uniformen und Helmen, nach Südamerika. Den Uniformstoff lieferte die Tuchfabrik Gebr. Glausnitzer.
- Durch das stetig wachsende Geschäft muss Otto Julius Müller die Produktionsstätten erweitern, weshalb er 1901 an der äußeren Bahnhofstraße/Ecke Schlachthofstraße die Maschinenfabrik Haase & Co. (vorm. Kyll) samt allen Maschinen und der dazugehörigen Eisengießerei aufkauft. Der Unternehmer ist beliebt, u.a. weil er sich keine Fabrikantenvilla baut, sondern auf dem Firmengelände wohnt.
- 1906 stirbt der Firmengründer Ernst Julius Müller im Alter von 85 Jahren. Er ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der erfolgreichsten Döbelner Unternehmer. Seine Firma wird mit 40 Ehrenpreise, darunter 6 Staatspreisen sowie zahlreichen goldenen und silbernen Medaillen auf Gewerbeausstellungen ausgezeichnet. Um die Zukunft seines Unternehmens muss er sich keine Sorgen machen. Sohn Otto Julius Müller führt den Betrieb schon seit 12 Jahren sehr erfolgreich. Enkel Max Otto Julius Müller lässt man in einem Konkurrenz-Unternehmen ausbilden, damit er neue Idee aufnehmen kann. Aus diesem Grund verzichtet die Firma Julius Müller per Vertrag auf den Bau von Dampfspritzen.
Preislisten der Firma für Feuerlösch- und Schlauchreinigungsmaschinen
(1) Motorkraftspritze aus dem Jahre 1924: Hersteller Julius Müller Döbeln, Viertaktmotor zum Antrieb der Löschwasserpumpe, Förderleistung ca. 800 Liter/min (Foto: Marko Sielaff - Feuerwehr Pulsnitz)
(2) Fäkalien-Kolonne mit einer Pumpe von Julius Müller in der Wappenhenschstraße, um 1900
(3) Stadtreinigungs-Wagen bei der Erprobung in der Schlachthofstraße direkt am Firmengelände, um 1920
- 1910 konstruiert und baut man die erste deutsche Benzin-Motorspritze. 1913 wird eine Elektromotorspritze mit Hochdruckzentrifugalpumpe produziert. Diese erhält im selben Jahr bei den Deutschen Feuerwehrtagen in Leipzig Bestnoten. Trotz der überschaubaren Leistung von nur 400 Litern pro Minute überzeugt die Spritze, weil sie überlastungsfähig und in nur 45 Sekunden einsatzbereit ist. Die Konkurrenz braucht von der Ankunft des Löschfahrzeuges bis zum Ausströmen des Wassers aus dem Mundstück des Schlauchs zwei bis drei Minuten.
- Der Sohn des Inhabers, Max Otto Julius Müller, absolviert ein technisches Studium, das sich besonders dem Pumpen- und Motorenbau widmet. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges schließt er es ab und wird unmittelbar danach zum Militär eingezogen.
- In der Zeit des Ersten Weltkrieges stellt man die Produktion teilweise auf Rüstungsgüter um. Neben Handdruck- und Motorspritzen stellt man 1000 Proviantwagen, 250 Maschinengewehrwagen und 500 andere Heeresgerätewagen her.
Die Fotos zeigen den Arbeitsalltag in der Feuerlöschgerätefabrik Julius Müller. Das letzte Foto muss nach 1922 aufgenommen worden sein, weil man im Hintergrund den 1922/23 errichteten Neubau der Schokoladenfabrik Clemen & Sohn erkennen kann. Quelle: http://www.döbeln.de
- In den Jahren 1919/20 entwickelt man eine neue Motorspritzen-Konstruktion und beginnt mit dem Bau von Automobilspritzen.
- Im festlich geschmückten Lackiersaal der Fabrik feiern die Mitarbeiter 1924 das 75-jährige Bestehen der "Fabrik für Feuerlöschgeräte und Stadtreinigungs-Wagen Julius Müller". Die Firma ist weiterhin sehr innovativ. Im selben Jahr entwickelt und baut man eine Hochdruckzentrifugalpumpe und rüstet die Motorspritzen mit elektrischem Licht und einer Anlasser-Einrichtung aus.
- Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges besteht die Firma in der Rechtsform einer offenen Handelsgesellschaft (OHG).
- Unmittelbar nach dem Krieg stellt man vor allem Handfeuerlöscher her.
- Am 22. November 1945 wird die Firma auf Grundlage des Befehls 124 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) in treuhänderische Verwaltung übernommen, durch Volksentscheid vom 30. Juni 1946 landeseigen und schließlich am 15. Oktober 1948 im Handelsregister gelöscht.
VEB Sächs. Feuerlöschgerätefabrik u. Eisengießerei
- 1948 vereinigt man die Fa. Paul Schädlich (Eisengießerei) und Fa. Julius Müller (Spritzenfabrik) zum VEB Sächsische Feuerlöschgerätefabrik und Eisengießerei.
- Am 23. Dezember 1954 erfolgte die Namensänderung in VEB Eisengießerei und Metallwerk Döbeln.
- 1958 wird der Betrieb zum Fertigungsbereich 4 des VEB Döbelner Beschläge- und Metallwerk (DBM). In dem Graugusswerk arbeiten 70 Beschäftigte, die jährlich zehntausende Fleischwölfe und Gehäuse für die Anlasser in Trabant und Wartburg hergestellt.
- Ende der 1960er Jahre wird die Graugießerei modernisiert, was für die Mitarbeiter große Erleichterungen bringt. Viele Arbeitsgänge werden durch die Mechanisierung einfacher. Eine harte Arbeit bleibt es dennoch.
- Am 18. Dezember 1990 wird im Graugußwerk an der Schlachthofstraße das letzte Mal gegossen.
Wollen Sie wissen, wie es mit den Döbelner Großfuß-Werken weiterging?
Informieren Sie sich hier über die Geschichte des VEB Döbelner Beschläge- und Metallwerk (DBM).
© Michael Höhme, "Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Quellen:
Pressausschuss für das Heimatfest (Hg.): Aus der Heimat. Festschrift zum Heimatfest. Döbeln 20.-22. Juni 1914, S. 86f.
Fa. Julius Müller (Hg.): Festschrift zum 75jährigen Bestehen der Firma Julius Müller Döbeln i. Sachsen 1849-1924. Döbeln 1924
Stockmann, Gottfried: Die Stadt Döbeln als Standort der Industrie. Borna Leipzig 1928, S. 79ff.
Materialsammlung Karlheinz Enzmann (nicht veröffentlicht)
Neubauer, Wolfgang: Die Bahnhof- und die Burgstraße – Teil 2 Industrieanlagen Bahnhofstraße / Schlachthofstraße. STIEFEL1998 In: Sammelband Der neue Döbelner Erzähler. 2004, S. 126-127
Bildnachweis:
Porträt Julius Müller - Fa. Julius Müller (Hg.): Festschrift zum 75jährigen Bestehen der Firma Julius Müller Döbeln i. Sachsen 1849-1924. Döbeln 1924
Werbeanzeigen 1925 – Rat der Bezirksstadt Döbeln (Hg.): Döbeln. Berlin 1925
Werbeanzeige 1910 - Schwender, Carl Clemens: Döbeln in Sachsen in Wort und Bild. Döbeln 1910Alle Abbildungen/Fotos ohne Vermerk stammen aus der „Sammlung Döbeln“ von Michael Höhme.
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Döbeln und seine Traditionsbetriebe
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Döbeln und seine Industriegeschichte
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