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"Ritter Blaubart" auf Schloß Schweta

Wieder einmal war die Kammerzofe der Schlossherrin von Schweta allein. Sie saß auf weichen Kissen in der Fensternische ihrer Kemenate, die im zweiten Obergeschoß lag, und ließ ihren Blick gelangweilt in die Ferne schweifen. Aber sie genoß die prächtige Aussicht nicht, die im Muldental abwärts fast bis zum Schloß Mildenstein reichte; Sie achtete auch nicht auf das wilde Gurgeln der Zschopau drunten, die ahnungslos über den alten, unterirdischen Gang wegfloß, der eins Burg und Berg miteinander verband. Oft schon hatte sie hier gesessen, wenn ihre Herrschaft abwesend war.
Darum erhob sie sich jetzt, stieg die Stufen der Wendeltreppe im Turm hinab in das erste Stockwerk und trat in das Zimmer ein, wo sich die umfangreiche Bibliothek ihrer Herrin befand. Ob es hier nicht auch für sie etwas zu lesen gab? Ein dicker Band aus der geschichtlichen Abteilung hatte die Bezeichnung „Historie des Hauses Tudor". Wie interessant war doch die Familiengeschichte Heinrichs VIII. von England zu lesen, der wegen seiner Grausamkeit und tyrannischen Regierung von seinem Volke gefürchtet wurde und der sechsmal verheiratet war. Von seiner ersten und vierten Gemahlin ließ er sich scheiden, die zweite und fünfte schickte er auf das Schafott, die dritte starb bald, und nur die sechste überlebte ihn.

Sie suchte weiter, übersprang die naturwissenschaftliche und mathematische Abteilung und zog aus dem Fach „Unterhaltungslektüre" ein ganz neues Buch heraus. Es waren die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm mit den schönen Bildern von Pocci, Spedter und Richter. Das war wieder etwas Packendes! Sie las vom Ritter Blaubart, dem schrecklichen Unhold, der alle seine Frauen der Reihe nach abschlachtete, nur weil sie aus Neugier die Tür zur verbotenen Kammer geöffnet hatten! Und sie atmete erleichtert auf, als sie erfuhr, wie ihn endlich doch die gerechte Strafe ereilte.
Da stieg in dem Kammerfräulein, dem nun das Gruseln über den Rücken lief, eine fürchterliche Ahnung auf. Sollte etwa hier in diesem ehrwürdigen, fast tausendjährigen Schlosse auch einmal ein solcher Ritter Blaubart gelebt haben? Stand doch unten im Erdgeschoß in dem großen Saale rechts vom Eingang ein mächtiger Kamin mit zehn bunten Wappenschildern, von denen ihre Herrin immer erzählt hatte, sie seien der Anfang einer herrschaftlichen Ahnentafel aus dem 16. Jahrhundert. Es war ihr jetzt mit einem Male klar: Der Junker Hans von Honsberg war auch ein Ritter Blaubart, und die neun neben dem Herrenschild gemeißelten und gemalten Wappen waren bestimmt die Familienwappen der neun adligen Frauen, die mit ihm vermählt waren und von denen er acht in kurzen Zeitabständen ermordete.
Eilends huschte sie in den Saal hinunter, um sich an Ort und Stelle Gewissheit zu verschaffen, ob ihre Vermutungen richtig waren. Wirklich, da stand neben den Wappen ganz deutlich zu lesen: Hans von Honsberg, die von Weißenbach, die von Schönberg, die von Kreuze, die von Böden, die von Holda, die von Hopfgarten, die von Brandenstein, von Schönfeld, von Krostewitz. Und deutete nicht auch der reliefartige Bildschmuck mit den verschiedenen Umschriften darauf hin, dass sie recht hatte?Das obere Mittelfeld zeigt Christus als den strengen Weltenrichter, der am jüngsten Tage die Bösen von den Guten scheidet, und zwei Bibelworte reden eine eindringliche Sprache:

Rom. 14,10: Wir werden alle vor den Richtstuhl Christi dargestellt werden; und
Mt. 13,43: Die Gerechten werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich.

Historische Postkarten Schloß Schweta (www.döbeln.de)

Nun gab es für das Kammermädchen keinen Zweifel mehr! Wie mochte nur der grausame Ritter Hans von Honsberg die acht edlen Frauen ums Leben gebracht haben? Ob er sie in dem schauerlichen Burgverließ auf tiefstem Grunde des Schlosses langsam zu Tode martern oder sie kurzerhand köpfen ließ? Oder ob er sie etwa in finsterer Nacht durch die verborgene Falltür ins Wasser der Zschopau stürzte, wo sie lautlos versanken? Und was hatte es für einen Beweggrund zu solch grauenvollen Mordtaten? Welche List aber wendete die neunte Frau an um ihn zu entkommen? Und wie wurde er für seine Taten bestraft?Wochenlang beschäftigte sie sich mit diesen schrecklichen Dingen und erzählte es allen, die es gern hören wollten, endlich auch dem Schäfer, der aufmerksam zuhörte und die neue Geschichte mit seinen Schafen begierig weitertrug. Ja, er fügte immer bekräftigend dazu, dass Hans von Honsberg ein gewalttätiger und furchtbarer Herr gewesen sei. Das beweise auch die Tatsache, dass er einst im Rossauer Großwalde mit eigener Hand ein ungeheures Wildschwein erlegt habe, das wegen seiner Größe und seines schreckhaften Aussehens anfänglich für ein Waldgespenst gehalten worden sei und dass statt der gespaltenen Hufe Bärenklauen gehabt habe. Aber wie zur Entschuldigung der Herren auf Schweta erzählte der Hofeschäfer dann abschließend, die Neigung zu tollen Streichen und Schandtaten liege vielleicht dem Geschlecht derer von Honsberg im Blute; denn ein Vorfahr des Hans von Honsberg habe als Klosterschüler bereits die verwegene Flucht in die schwer zugängliche Mönchshöhle im Tannenbergfelsen beim Kloster zu Buch mitgemacht. Die Sage vom „Ritter Blaubart" auf Schloss Schweta aber geht auch heute noch mit geheimnisvollem Raunen von Mund zu Mund. - Der Kamin, dessen Wappenschildern man eine so irrtümliche Auslegung gegeben hat, befindet sich mit seinem prächtigen Aufbau seit dem Jahre 1875 im zweiten Stockwerk des Schlosses.

Leisniger Heimatsagen
Nach alten Quellen bearbeitet von Alfred Horn, 1936