Stadtmauer

Als die Döbelner noch hinter Stadtmauern lebten!

Unsere heutige Geschichte aus dem alten Döbeln könnte so wie ein Märchen beginnen: Es war einmal vor vielen, vielen Jahren...

Unsere Zeitreise führt uns in das Jahr 981, dem beurkundeten Geburtsjahr der Stadt und noch viel weiter davor. In gewisser Weise entspricht dies etwa dem Alter des Schreibers, der seit einem Jahr zu den „Ü-Achtzigern“ gerechnet wird. Denn mit einundachtzig Jahren richtet man seine Blicke nicht mehr so intensiv in die Zukunft, sondern lässt seine Gedanken mehr in die Vergangenheit zurückwandern.

Eine vergrößerte Kopie der Gründungsurkunde aus dem Jahr 981 wurde 1981 im Festumzug zur 1000-Jahr-Feier Döbelns gezeigt. (www.döbeln.de)

Wir beginnen unsere Geschichte in einer Zeit, die lange vor Döbelns Geburt liegt, so 8 - 10-tausend Jahre vor Christi Geburt in der jüngeren Steinzeit. Damals lebten unsere Ur-Vorfahren zumeist in finsteren Steinhöhlen, deren dicke Wände ihnen Schutz vor gierigen Raubtieren und „feindseligen Mitmenschen“ boten. Dort im Schutz der Steinwände fanden sie allseitige Sicherheit vor jeglicher Gefahr. Und sie nutzten die Wände aus Stein sogar für ihre „Freizeitgestaltung“ und ritzten in diese Zeichnungen von sich und ihrer Jagdbeute ein, die wir heute noch entdecken können - gewissermaßen „steinzeitliche Selfies“ mit Mammuts.

Das Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit in steinernen Wänden haben wir Menschen bis heute instinktiv beibehalten, deshalb suchen wir Zuflucht „in unseren häuslichen vier Wänden“. Man könnte auch meinen, es sei der Natur abgeschaut. Mutter Natur umgibt werdendes Leben vieler Spezies mit einer schützenden Hülle. Wir erkennen diese bei jedem pflanzlichen Saatkorn ebenso wie in Form der Eierschale bei unseren gefiederten Lebewesen bis hin zu den Fruchtblasen bei den Säugern. Denn auch wir selbst als Homo sapiens nutzen diese Vorsorge.

Historische Stadtansicht Kupferstich nach Dillichs Federzeichnung um 1630. Rechts der Nicolaikirche sieht man die Burgruine auf dem Schlossberg. Die Reste der Burg wurden bis in das 18. Jahrhundert als Steinbruch genutzt und von 1867 bis 1869 zum Bau der Schloßbergschule und einer Turnhalle endgültig beseitigt.

Nach diesem Exkurs in die tiefe Vergangenheit, nun aber zurück zum Thema, zu den Döbelner Stadtmauern. Felsenhöhlen gibt es nicht allerorts, aber Steine, Holz und anderer Schutz lassen sich überall auffinden. Und mit entsprechendem Geschick entstehen daraus schützende Wände.

Als sich vor langer Zeit die ersten Siedler im Tal der Muldenaue sesshaft machten, brauchten sie neben ihren bedürftigen Behausungen einen sicheren Ort, der ihnen Schutz und Obhut bot. Einen solchen Platz vor feindlicher Bedrohung fanden sie auf einem ca. 15 Meter hohen Felsplateau, dem heutigen Schlossberg. An dessen Felsnase wird die zur Stadt aus Südosten kommende Freiberger Mulde in zwei Wasserarme aufgespalten. Westlich des Schlossberges vereinen sich nach einem Kilometer getrennten Laufes wieder beide Flussarme. So entstand einst eine Flussinsel als natürlicher Schutz für Siedler und alles was sie mit sich führten. Ein Felsplateau galt damals als ein besonders geeigneter Ort für die Errichtung einer Befestigungsanlage, damals Burgwardum genannt.

Stadtplan um 1780 nach Emil Reinhold (Stadtmuseum Döbeln)

Zunächst bestand das „Castellum Doblin“ aus hölzernem Pfahlwerk und Steinwällen, zu denen sich später auch ein Bergfried und ein Steinturm gesellten. Um 965 gründete sich die Mark Meißen unter Kaiser Otto I. (912 - 973, Kaiser 962). 968 entstand das Bistum Meißen, wodurch das Burgwardum Doblin gleichzeitig zu den Mittelpunkten deutsch-christlichen Glaubens gehörte. Am 21. Juli 981 schenkte Otto II. (955 - 983) das Castellum Doblin dem Kloster Memleben (Thüringen).

Ein paar Jahre später fiel das Kloster, mit allem Besitz, an die Mark Meißen. Unter dem Meißener Markgraf Heinrich dem Bedrängten, wird die Burg zu Doblin zur Steinburg ausgebaut. Selbiger Markgraf (1165 - 1221) ließ einen weiteren Turm auf der Südost-Spitze des Burggeländes und Wohngebäude bauen. Es entstanden darin Kemenaten, so benannte man beheizbare Räumlichkeiten. Im Einfluss des Bistums Meißen baute man etwas westwärts unterhalb der Burg eine kleine hölzerne Kirche mit Glockenturm, die dem Heiligen Nikolaus geweiht war. Sie gilt als erster Vorgängerbau der heutigen Stadtkirche St. Nicolai.

Das anlässlich der 1000-Jahr-Feier an der Oberbrücke nachgebildete Stadttor war eine sehr freie Interpretation des historischen Obertors. (www.döbeln.de)
Auch beim Heimatfest 1954 hatte man am historischen Ort die Stadttore nachempfunden. Das Foto wurde auf der Niederbrücke aufgenommen und zeigt eine Nachbildung des Niedertores. Der Blick geht Richtung Johannisstraße. (www.döbeln.de)

Unterhalb des Burgberges wuchs das mittelalterliche Döbeln auf der Muldeninsel. Eingerahmt von beiden Muldenarmen, könnte man fast von einem idyllischen Landschaftsgebilde sprechen, wenn nicht die Mulde ab und an aus ihrem Bett unaufhaltsam empor quoll.

Der Fortgang der Stadtentwicklung folgte dem Lauf des Sonnenlichtes von Ost nach West. Man unterscheidet die Bauabschnitte in Ober-, Mittel- und Niederstadt. Letztere endete schließlich dort, wo sich die Flussarme wieder vereinen. Dieses Wachstum dauerte bis zum 13. Jahrhundert an. Die Stadtinsel im Fluss hatte eine Ausdehnung von 900 Metern in der Ost-West-Richtung und von 350 Metern in der Nord-Süd-Richtung. Diese Maße ergaben eine Fläche von 17 Hektar in der Form einer Fischblase. Von dieser Fläche waren damals 630 mal 230 Meter mit Gebäuden bebaut.

Nach dem Entstehen der Steinburg (1150 - 1170) begann die Errichtung einer Ringmauer um die bebaute Inselfläche. Die Burg selber war durch ihre Lage auf dem Felsplateau und durch das äußere Mauerwerk ihrer Bauten nach drei Seiten geschützt. Nach Westen zur Stadt hin errichtete man eine Burgaußenmauer mit großem bewehrtem Tor. Dieser Zugang dürfte dem heutigen Zugang zum Schulhof der Schlossbergschule entsprochen haben.

Das von Ralph Gundram gestaltete Modell der Döbelner Burg kann im Stadtmuseum besichtigt werden.

Erwähnt sei an dieser Stelle, dass ein Burgmodell im Maßstab 1 : 87 im Döbelner Stadtmuseum im Rathaus besichtet werden kann. Dieses Modell hatte 2006 der Hobby-Historiker Ralph Gundram nach akribischen Studien geschaffen und im September 2006 der Stadt geschenkt. Viel Wissen zur Döbelner Burg ist hypothetisch, denn Baupläne aus der Entstehungszeit der Burg gibt es nicht. Sie wurden Opfer großer Stadtbrände (1523, 1730) und früherer Kriegswirren. Das jetzige Modell dürfte aber dem Urbild der Burg nahekommen.

Aus dem Umland von Döbeln führten drei Zugänge zu der sich entwickelnden Stadt. Zur ältesten Mühle der Stadt kam man über einen Fuß-Steg, er nannte sich Staupitzsteg, benannt nach einem uralten Döbelner Rittergeschlecht, das seinen Sitz auf dem Staupitzberg (Leipziger Berg) hatte.

Von Osten her zogen die Menschen und ihre Fuhrwerke über die Oberbrücke und das dortige Feuchtgebiet. Neben der anfänglichen Holzbrücke gab es noch eine Wagenfurt. Ab der Oberbrücke führten Handelsstraßen nach Norden und Osten. Der südliche Muldenarm, konnte im Bereich der Niederbrücke passiert werden. Auch hier fand man eine Wagenfurt. Die Ausfahrt nach Süden beanspruchte die Zugpferde erheblich, um Döbeln zu verlassen, mussten sie ihre Wagen den steilen Hirtenberg hinaufziehen. Diese drei Ein- und Ausgänge der Stadt erhielten stark bewehrte Stadttore mit großen Holzflügeln und Wehrtürmen. Ihre Namen waren Obertor, Niedertor und Staupitztor. In den Jahren 1221 - 1268 entstand der innere Stadtmauerring. Betrachten wir seinen Verlauf und beginnen entgegen des Uhrzeigersinns an der Nord-Ost-Ecke der Burg.

Ende der Ritterstraße - links die Brauhausgasse - rechts der Durchgang zum Salzgraben - mittig das Torwärterhäuschen, um 1975 (www.döbeln.de)

Von dort verlief die Mauer in nördliche Richtung und führte vorbei am Oberwerder zum Obertor. Die Kirche stand innerhalb des Mauerringes. Durch das Obertor schritt man einer platzähnlichen Erweiterung am Anfangs der Ritterstraße (Herrengasse) zu, wo die Häuser der Burgmannen und auch die großen Gebäude des Oberen Gasthofes („Goldene Sonne“) standen, in welchem die Fuhrleute ausspannten und die Reisenden Kost und Logis nahmen, das Bild prägte.

Nach dem Obertor bog die Mauer nach Westen hin ab und verlief an der Hinterfront der Ritterstraßenhäuser bis zur Staupitzmühle. Hier endeten zunächst die Ober- und Mittelstadt. Hinter dem ersten Rathaus bog die Stadtmauer südwärts parallel zur Stadthausgasse ein.

In dieser Richtung ging es weiter durch die Kreuzgasse und über die Frongasse bis zur Zwingerstraße, die ihren Namen bis heute behalten hat. Von der Zwingerstraße parallel zum Südarm der Mulde nahm der Mauerverlauf wieder die östliche Richtung ein. Entlang der Schlosswiesen endete der Mauerring an der Süd-Ost-Ecke der Burg am Schlossberg.

Über die vom Obermarkt nach Westen führende Bäckerstraße entstand bald in selbiger Richtung Döbelns Niederstadt. Nun musste daraufhin der Mauergürtel nach Westen erweitert werden. Er führte danach zwischen Brauhausgasse und Salzgraben bis zur heutigen Breitscheidstraße. Die Brauhausgasse hieß bis 1838 Entengasse.

Döbeln wird als "Stadt der Dreien" bezeichnet. Vieles gab es hier dreimal. Am prägnantesten waren die drei Stadttore (Obertor, Staupitztor, Niedertor) sowie drei Türme. Das Stadtwappen zeigt die Stadtmauer, auf der über jedem Tor ein starker vierkantiger Turm ragte.

Nördlich von ihr zum Salzgraben hin lag früher der Kuttelhof (Schlachthof). An der Nord-West-Ecke des Niedermarktes endete der nördliche Verlauf der Stadtmauer. Dort, wo heute die Gebäude der neuen Sparkasse stehen, bog die Mauer südwärts ab und führte entlang am ehemaligen Capitol-Kino und dem heutigen Stadttheater. Auf dessen Gelände gab es einst den Marstall und den gefürchteten Marterturm für die Bösewichte jener Zeit.

Entlang der Theaterstraße, früher „Am Stadtgraben“ genannt, schloss die Mauer dann an das Niedertor an. Von hier führte sie entlang der Zwingerstraße, wie schon vorher beschrieben, zum Schloss (Burg) zurück.

Später entstand ein zweiter äußerer Mauerring, der eine Länge von 1700 Metern hatte und nahe an den Mulde-Ufern lag. Auf Freiflächen zwischen innerer und äußerer Mauer entstanden die sogenannte „Zwinger“. Dazu zählten auch Teichwiesen und Werder nahe der Mulde. Der Zwinger, zwischen Niedertor und Schlossberg hat seinen Namen bis heute behalten.

Die Mauern erhielten zur Abwehr von Angreifern besondere Einrichtungen. So baute man an bestimmten Stellen Wehrgänge für die Verteidiger sowie Schießscharten und Mauerzinnen ein. Dazu gehörten auch Halbschalentürme im Mauerverlauf, von denen geschützt zur Außenseite, in den Zwischenraum geschossen werden konnte.

Reste der Stadtmauer hinter der Nikolaikirche mit den Grabsteinen ehemaliger Pfarrer der Stadt Döbeln

Die Mauern erhielten zur Abwehr von Angreifern besondere Einrichtungen. So baute man an bestimmten Stellen Wehrgänge für die Verteidiger sowie Schießscharten und Mauerzinnen ein. Dazu gehörten auch Halbschalentürme im Mauerverlauf, von denen geschützt zur Außenseite, in den Zwischenraum geschossen werden konnte.

Am Niedertor östlich auf dem Niederwerder war in den Jahren von 1698 - 1852 eine Anlegestelle für Holzflößer. Auf dem Holzmarkt am Südende des Niedermarktes erfolgte der Verkauf.
Die Bäume waren im Erzgebirge und in Böhmen gewachsen, wo auch unser Stadtfluss seine Quellen hat. Übrigens das Ende der Breite Straße und Neugasse nannte man früher Honigloch (Waldhonig?). Einen ebenfalls anheimelnden Namen hatte auch damals eine winklige Wegstrecke, die zwischen Häusern vom Niedertor bis hin zur Westecke der Bäckerstraße verlief. Man nannte sie Auerbachs Hof - Leipzig lässt grüßen!
Neben den drei Tortürmen gab es noch drei weitere große Türme im Mauerverlauf. Es waren zwei viereckige und ein runder Turm. Ihre Standorte sind an der Nord-West-Ecke, an der Süd-West-Ecke (Marterturm) und an der Süd-Ost-Ecke (runder Turm) zu finden. Unmittelbar neben den Stadttoren hatte man Torwärterhäuschen errichtet. Die Torwärter kassierten seit 1383 die Torpfennige als Wegegeld, gleichsam eine Art Maut, die in der Kasse des Stadtkämmerers landeten.

Außerhalb der Städte sorgten damals Strauchdiebe und Räuber für eine „finanzielle Erleichterung“. Das Torwärterhäuschen an der Staupitzmühle, wo sich die Ritterstraße in Brauhausgasse und Salzgasse gabelte, hatte bis 1976 Bestand. Mit der ersten Verlängerung der Ritterstraße war sein letztes Stündlein geschlagen.

Teile der Stadtmauer haben sich hinter den Häusern der Ritterstraße erhalten. Ein kürzlich eingerichteter Spazierweg entlang des nördlichen Muldenarmes ermöglicht so neue Einblicke in die Stadtgeschichte.

Zu den drei vor der Innenmauer liegenden Muldenwerdern gelangte man durch drei Mauerpforten. Die erste war nach Osten hin die Mühlpforte am Oberwerder, heute von der kleinen Kirchgasse erreichbar. Die zweite, die Zwingerpforte, führte am Ende der Sattelstraße auf die Schlosswiesen. Die dritte war die Wasserpforte, gelegen an der Südwestecke des Salzgrabens. Zusätzlich gab es noch drei Pförtchen. Zwei lagen am Ende der Breitenstraße und man gelangte dort in den „Zwinger“. Das dritte bildete einen schmalen Zugang von der Entengasse in den Kuttelhof im Norden. Es nannte sich deshalb Kuttelhofpförtchen.

Der Döbelner Historiker Emil Reinhold wies in einer Arbeit darauf hin, dass nach dieser Dreizahl von Toren, Türmen, Pforten und Pförtchen die Stadt Döbeln auch „Stadt der Dreien“ genannt wurde. Die Aufzählung ließ sich erweitern, wenn man an die Zahl der Kirchen, Friedhöfe und anderer Örtlichkeiten denkt.

Relikt aus längst vergangener Zeit - ein Rest der Stadtmauer wurde beim Bau der Kreissparkasse an der Ecke Ritterstraße / Rudolf-Breitscheid-Straße erhalten.

„Anfang des 15. Jahrhunderts gab es Bedrohungen aus dem Osten: Die Hussiten “waren auf Kriegspfad“. Aus diesem Grund erfolgte auch in Döbeln ab 1420 der Ausbau der Verteidigungsanlagen. Hervorzuheben der breite Graben, der sich von der Süd-Ost-Ecke des Schlossberges bis hin zur Oberbrücke zog. Diesen Muldenabschnitt gab es anfangs nicht in der heutigen Form, vielmehr war es ein Feuchtgebiet - von Bachläufen versorgt. Das Teichgebiet bekam an der Oberbrücke Wasserzufluss aus dem Töpferbach (Schinderbach), der vom östlichen Amselgrund zufloss. Dieser Bach speiste auch die Teichwiesen vor der nördlichen Stadtmauer.

Jene Wassersammlungen diente der Staupitzmühle zum Antrieb ihrer Mahlgänge. Ein am Schlossberg gebautes Wehr sicherte den Wasserzufluss für den Nordarm der Mulde. Ein weiterer Wassergraben wurde in westlicher Richtung parallel zum Muldensüdarm angelegt. Später teilweise überdeckt, versorgte er die Niedermühle mit Wasser. Er begann am Schlossberg und war in seinem Anfangsteil durch den Felsen vorgetrieben. Doch alle Mühen waren umsonst. Am 25. Dezember 1429 überfielen die Hussiten auch Döbeln und zerstörten die Burg und einen Großteil der Stadtbauten jener Zeit. Bei diesem Überfall und durch die Brände sowie eine Plünderung im Stadtarchiv gingen viele Urkunden und Stadtpapiere verloren. Akten und Dokumente wurden zerrissen und dienten den Hussitenpferden als Unterstreu, als die Nicolaikirche zum Pferdestall gemacht wurde.

Ein Streifen Kleinpflaster erinnert zwischen dem ehemaligen Kino "Capitol" und dem Stadttheater an den Verlauf der Stadtmauer.

Über diese Ereignisse gibt es ebenfalls keine aussagekräftigen Unterlagen. Fakt ist, dass das Schloss, wie die anfängliche Burg heute bezeichnet wird, in seinem ruinösen Zustand immer mehr in der Folgezeit verfiel. Die steinernen Überreste dienten schließlich den Döbelnern nach dem großen Stadtbrand von 1730 als „Aufbauhilfe“ für neue Wohnstätten.

Etwa um das Jahr 1830 kam es zum Zuschütten und Einebnen der Wallgräben der Stadt. Auch beschloss der Rat von Döbeln im Jahre 1838/39 den Abriss der Stadttore und großer Teile der Stadtmauern. Damit endet die Periode Döbelner Wehrhaftigkeit, die wesentlich aus Stein und Mörtel bestand. Die Stadt hatte ihren Gürtel aus Steinen gesprengt und war eigentlich schon lange vor diesem Zeitpunkt weit über die feuchten Grenzen der Muldeninsel in alle vier Himmelsrichtungen hinausgewachsen. Heute sind nur noch wenige Reste der Stadtmauern erhalten geblieben. Ein kurzes Stück Burg-Stadtmauer steht noch nördlich von St. Nicolai. Die Rückfront der Mauer zeigt zum Oberwerder. In der südwärts gerichteten Mauerseite sind Nischen mit gotischem Profil von bemerkenswertem Ausmaß. Darin stehen verwitterte Grabsteine ehemaliger Pfarrer der Stadtkirche.

Und vor ein paar Jahren (2011) fanden dort drei Stahlglocken der Kirche ihre letzte Ruhestätte. Die vierte Glocke hat ihren Platz neben St. Nicolai auf dem Lutherplatz gefunden. Das Geläut musste aus „Altersgründen“ den Kirchturm verlassen und machte dann stabileren neuen Bronzeglocken Platz, die im April 2012 in ihren Glockenstühlen „Platz nahmen“.

Vor der Errichtung des modernen Theateranbaus wurden 2006 Teile der Stadtmauer freigelegt.

Ein längeres Stadtmauerteil blieb erhalten an der nördlichen Rückseite von Häusern der Ritterstraße entlang des ehemaligen Gartens des letzten Mülles von Döbeln, unserem unvergessenen Vereinsfreund Werner Braun. In diesem Bereich, wo einst die Mühlenesel nach schwerem Tagwerk „relaxten“, führt seit 2015 ein schöner Wanderweg von der Oberbrücke bis zur Staupitzmühle. Hier kann man Döbelner Geschichte atmen, denn die Hofanlagen der ehemaligen „Goldenen Sonne“ und die Gebäude vom Klostergut bieten malerische Ausblicke.

Bei Bau- und Straßenarbeiten auf der Muldeninsel traten an einigen Stellen Mauergründungen und weitere Reste zu Tage. So auch in der neuen Sparkasse Ecke Ritterstraße/Breitscheidstraße. An einer Ecke der Bank ist ein Stück Historie im Neubau integriert.

Ein weiteres Stück Mauergründung wurde zwischen „Capitol“ und Stadttheater entdeckt. Aus Gründen des Verkehrs musste es wieder im Straßenuntergrund verschwinden. Sein Verlauf konnte durch einen Streifen Kleinpflaster in der Asphaltdecke sichtbar gemacht werden. Ein weiteres Mauerrelikt „buddelte“ man bei den Gründungsarbeiten für das TiB südlich des Theaters frei. Sein Bestand ließ sich leider nicht sichtbar in die neue Bausubstanz einordnen.

Da es im Döbelner Inselbereich immer einmal tiefgründige Arbeiten gibt, ist mit weiteren Entdeckungen zu rechnen, so hoffen es die Historiker. Doch das legendäre Bernsteinzimmer wird man in Döbeln vergebens suchen.

Was zeigt uns der Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart? Noch immer errichten Menschen hohe Mauern mit meist guten, aber auch bösen Absichten. Steine und Stahl trennen Menschen und schränken Bewegungen ein. Wer denkt da nicht an die berüchtigte Berliner Mauer. Wir brauchen solche Mauern nicht. Aber auch nicht solche sinnbildlichen Wände, die wir manchmal um unsere Herzen und Gemüter im Umgang mit unseren Mitmenschen legen.

Aber eines wollen wir auch künftig nicht missen, nämlich das gewohnte Mauerwerk unser heimischen „vier Wände“, in denen wir den häuslichen Frieden wahren und Ruhe vor dem Trubel in der Welt finden. So, wie einst unsere Altvorderen.

Gerhard Heruth
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Mitgliederinformation Nr. 50
Mai 2016