Ritterstraße

Ein Bummel durch die Zeiten auf der längsten Straße der Muldeninsel

Einen halben Kilometer bevor die Felsen des Staupitzbergs den Nordlauf der Freiberger Mulde abrupt nach Westen ablenken, teilt ein steinerner Vorposten den Fluss. Die nur 15 Meter hohe Felsnase des Döbelner Schlossberges spaltet die Mulde in einen schmalen südlichen und einen breiteren nördlichen Arm. Erst knapp einen Kilometer westlich des Schlossbergs fließen beide Flussarme wieder zusammen und formen die Döbelner Muldeninsel – die Keimzelle der Stadt.
Auf einem Stadtplan wirkt der geteilte Flusslauf wie ein Riesenauge: Das Oberlid verschiebt sich nach Osten, das Unterlid nach Westen. Das Ausmaß dieser „Insel“ beträgt in Ost-West-Richtung 900 Meter und in Nord-Süd-Richtung maximal 350 Meter und umschließt eine Fläche von 17 Hektar.

Die Ritterstraße begrenzt im Norden die Döbelner Innenstadt.

Von der Burg auf dem Schlossberg, die erstmals am 31. Juli 981 urkundlich erwähnt wurde, breitete sich das mittelalterliche Döbeln aus. Die Stadt wuchs schrittweise von Ost nach West, dem Lauf der Sonne folgend. Zunächst entstand die Oberstadt am Burgberg, dann die Mittelstadt, und ab dem 14. Jahrhundert kam die Niederstadt hinzu. Zwei Drittel der Muldeninsel wurden ursprünglich besiedelt. Diese 620 x 230 Meter große Fläche umgab ein doppelter Mauerring mit Wehreinbauten. Drei Tore führten ins Stadtinnere: das Obertor im Osten, das Staupitztor im Norden und das Niedertor im Süden. Über befahrbare Brücken an Ober- und Niedertor sowie einen Fußsteg am Staupitztor konnten die Bürger die Mulde trockenen Fußes überqueren. Zusätzlich gab es an Ober- und Niedertor je eine Wagenfurt. Die längste und wohl älteste Straße der Muldeninsel verlief anfangs 270 Meter von der Oberbrücke bis zur Staupitzmühle am gleichnamigen Steg.

Folgt man dem Flusslauf 300 Meter nördlich vom Schlossbergwehr, erreicht man die Oberbrücke. Ortschronist Hingst berichtet, dass es hier bereits 1328 eine hölzerne Brücke gab. An diesem Knotenpunkt der Handelswege von Leipzig und Dresden rollten beladene Frachtfuhrwerke in die Stadt. Sie erreichten die Ritterstraße, die sich am Obertor auf 120 Metern platzartig erweiterte und nach weiteren 150 Metern an der ersten Döbelner Mühle am Staupitztor endete.

Blick von der Oberbrücke in die Ritterstraße

Im Jahr 1540 nannte man die Straße Herrengasse. Ursprünglich sprach man in der Stadt nur von „Gassen“. Der Begriff „Straße“ tauchte erst 1833 auf. So wurde aus der Herrengasse die Ritterstraße. Kurze Zeit später, um 1750, gab es auch den Namen „Am Obertor“. Zwischen 1945 und 1992 trug die Ritterstraße den Namen Clara-Zetkin-Straße, erhielt aber nach der Wende ihren alten Namen zurück.

Wohnort für das Gefolge

In der Herrengasse lebten die Gefolgsmänner des Schlosshauptmanns und die Burgherren. Von der Burg führte ein kurzer Weg durch die Kirchgasse zu ihren Quartieren nahe dem Obertor. Bereits in der Frühzeit der Stadtgeschichte stand am westlichen Ende des Straßenmarktes der Herrengasse eine größere Herberge. Dort fanden die Gefolgsleute der Burgherren Unterkunft, die sonst auf Vorwerken außerhalb der Stadt lebten und bei Gefahr in die Burg gerufen wurden.

Das Hotel "Goldne Sonne" galt lange als die "erste Adresse" der Ritterstraße.

Aus der Herberge wurde der Obere Gasthof, später folgte auf dem Niedermarkt der Niedere Gasthof. Im Oberen Gasthof rasteten Fuhrleute, die dort Essen und Unterkunft fanden. An Gästen mangelte es nicht, denn seit 1537 ermöglichte eine steinerne Oberbrücke auch schweren Fuhrwerken die Überfahrt. Aus dem Oberen Gasthof entwickelte sich im Lauf der Zeit ein Hotel mit umfangreicher Gastronomie, das im 20. Jahrhundert als „Goldne Sonne“ bekannt war. Am Standort des Niederen Gasthofs entstand gleichzeitig das Hotel „Stadt Altenburg“.

Die „Kleine Kirchgasse“ war einst nur für Ross und Reiter sowie kleine Karren passierbar. Heute ist sie fast viermal so breit, nachdem zwischen 1964 und 1985 das „große Aufräumen“ im Stadtbild begann und viele Gebäude, darunter Wohnungen, Läden und Gaststätten, für immer verschwanden.

Neben der Kirchgasse, die zur Burg und zur Kirche St. Nicolai führte, zweigten von der Herrengasse in südliche Richtung noch die Sattelgasse und die Zweckengasse ab. Sie führten zum späteren Obermarkt, dessen gegenwärtige Marktstraße parallel zur Ritterstraße verläuft. Die Sattelstraße, heute eine Geschäftsstraße, erinnert mit ihrem Namen an die Sattler, die hier einst für die Rittersleute arbeiteten. Die Zweckengasse existiert nur noch dem Namen nach. Heute parken dort die „Blechkarossen“ auf großzügigen Parkdecks, während ihre Fahrer das Rathaus oder die Innenstadt besuchen.

Blick aus der Ritterstraße Richtung Oberbrücke - Eine Verkehrsanbindung erfolgte um die Jahrhundertwende durch die Döbelner Pferdebahn.

Am westlichen Ende der alten Ritterstraße führt die Stadthausstraße entlang der Westseite des Rathauses zum Obermarkt. Hier endete einst die obere Stadt mit der westlichen Stadtmauer, die über Kreuzgasse, Fronstraße und Zwingerstraße bis zum südlichen Muldenarm verlief und dann in Richtung Burg weiterführte.

Relikte aus vergangener Zeit - Reste der Stadtmauer findet man auch hinter den Häusern der Ritterstraße.

Als die Niederstadt wuchs, verlegte man den Westteil der Mauer bis zur heutigen Rudolf-Breitscheid-Straße. Bei Bauarbeiten für die neue Sparkasse und das Theater im Bürgerhaus (TiB) konnten Fundamente der alten Stadtmauer freigelegt werden. Solche Überreste findet man heute auf der Muldeninsel nur noch bei tiefen Bauarbeiten. Um 1830 begann der Abbruch des steinernen Schutzrings, und neun Jahre später verschwanden die drei Stadttore. Kleine Mauerreste sind noch nördlich der Kirche St. Nicolai, bei den Färberhäusern und hinter den Häusern der Ritterstraße sichtbar.

Eine Mühle wird zur Nummer 1

In der Ritterstraße standen bis vor wenigen Jahrzehnten 41 Wohnhäuser. Ab 1888 erhielten die Döbelner Steinhäuser straßenweise Hausnummern. Die Nummerierung der Häuser der Ritterstraße begann mit dem Wohnhaus der Staupitzmühle, das die Nummer 1 erhielt. Die aufsteigende Nummerierung zog sich linksseitig bis zur Oberbrücke und kehrte rechtsseitig bis zur Nummer 41 zur Mühle zurück. So lagen Anfang und Ende der Straße aus Sicht der Hausnummern einander gegenüber.

Diese Verbindung von Anfang und Ende zeigt sich auch in der Geschichte der Staupitzmühle. Um 1420 erstmals erwähnt, war sie die erste Mühle in Döbeln. Im Laufe der Jahrhunderte kamen weitere hinzu. Doch 1976 stellte die Staupitzmühle als letzte der Stadt ihren Betrieb ein. Unser unvergessener Vereinsfreund Werner Braun nannte sich stolz „letzter Müller von Döbeln“.

Die Staupitzmühle in der Ritterstraße mit der Hochwassertafel ist ein MUSS bei jedem Stadtrundgang.

Bevor wir bei unserem „Gassenbummel“ auf einige bemerkenswerte „Hausnummern“ eingehen, sei noch erzählt, wie die Ritterstraße in ihre „Wachstumsjahre“ kam und sich so zur längsten Straße auf der Muldeninsel entwickelte.

Bis 1976 endete die Ritterstraße im Westen an einer kleinen platzartigen Erweiterung mit einer Wegegabelung. Von hier aus führten, im Uhrzeigersinn, die Stadthausstraße, die Brauhausgasse, der Weg am Salzgraben und der Weg zum Staupitzsteg weiter. In der Mitte dieser Kreuzung stand das Torschreiberhäuschen. Seit 1383 mussten hier Torpfennige und Wegegeld an die Stadtkämmerei gezahlt werden. Das Häuschen mit seinen Anbauten diente bis nach dem Zweiten Weltkrieg als Mühlenbäckerei. Im Hungerwinter 1945/46 bildeten sich dort lange Schlangen von Menschen, die auf Brot warteten. Die Brauhausgasse führte westwärts bis zur nordwestlichen Ecke des Niedermarktes. Früher hieß sie Entengasse, und an ihrer nördlichen Rückseite verlief die Stadtmauer. Eine kleine Pforte in der Mauer führte zu den Gebäuden des Kuttelhofes (Schlachthof), der am Salzgraben endete. Dieser folgte dem Lauf des Mühlgrabens und der Mulde bis zur heutigen Rudolf-Breitscheid-Straße (früher Moltkestraße). Zwischen dem Mühlenwohnhaus und dem Haus Ritterstraße 2 schlängelte sich ein schmaler Pfad zum Staupitzsteg.

Hier finden Sie Ansichten des Abschnitts der Ritterstraße in der Nähe des Rathauses, jeweils vor dem Abriss zahlreicher Häuser in dem Bereich im Jahr 1976. Im Nachgang wurden im Jahr 2024 Aufnahmen aus derselben Perspektive gemacht, damit man die alten Fotos zuordnen kann.

(1)/(2) Wir blicken auf Häuser hinter dem Rathaus, die es heute nicht mehr gibt. Links zweigt die Zweckengasse, rechts die Stadthausstraße von der Ritterstraße ab. / An dieser Stelle befindet sich heute ein Parkplatz für die Mitarbeiter der Stadtverwaltung.
(3)/(4) Veränderte Perspektive auf denselben Bereich. Der Blick geht nunmehr Richtung Parkhaus.
(5)/(6)
Das Torhäuschen würde heute mitten auf der verlängerten Ritterstraße stehen. Früher endete hier die Ritterstraße und man konnte links in die Brauhausgasse oder rechts in den Salzgraben einbiegen. 1976 wurden zahlreiche Häuser, auch das Torhäuschen, weggerissen.

Als in den 1970er Jahren der Straßenverkehr immer mehr zunahm und er in diesem Bereich der Muldeninsel zu kollabieren drohte, kam für das untere Ende der Ritterstraße der Ruf: „Go West!“ Die Straße wurde um 250 Meter bis zur Breitscheid-Straße verlängert. Am 5. Januar 1976 begann der Abriss der Häuser an Brauhausgasse und Salzgraben. Dabei verschwanden der markante Schornstein des Brauhauses, der Kuttelhof und das gemütliche Torschreiberhäuschen. Im Mai 1976 startete der Straßenbau, und am 7. Oktober 1976 wurde die neue Strecke feierlich für den Verkehr freigegeben. Der Verkehr floss nun besser auf dem „Dittrich-Ring“, benannt nach dem damaligen Bürgermeister, der das Prestigeprojekt vollendete.

Der Abriss ging schnell, doch die Bebauung entlang des neuen Straßenabschnitts ließ auf sich warten. Rechts, in Richtung Mühle, sorgte eine Begrünung für etwas Abwechslung zur Tristesse am nördlichen Muldenarm. Links dauerte es Jahrzehnte, bis sich etwas tat. Erst nach der Wende begann ein Bauboom im angrenzenden Stadtrevier. Es entstanden ein großes Parkhaus mit Läden im Erdgeschoss und eine Passage zur Bäckerstraße. Fertigstellung war im Frühjahr 1993. Fast gleichzeitig konnte am Ende der Straßenverlängerung der Grundstein für den Gebäudekomplex der neuen Kreissparkasse gelegt werden. Im August 1994 weihte die Döbelner Sparkasse das entstehende „Bankenviertel“ auf der Muldeninsel ein.

(1) Der Salzgraben war eher ein Weg als eine Straße und führte von der Staupitzmühle parallel zur Mulde Richtung Moltkestraße (heute Rudolf-Breitscheid-Straße).
(2) Viele Häuser im Bereich Salzgraben und Brauhausgasse wurden 1976 abgerissen, auch die beiden Straßen verschwanden. Um den Verkehrsfluss zu verbessern, baute man eine breite Verlängerung der Ritterstraße, die vorerst bis zur Rudolf-Breitscheid-Straße führte. (Foto: Sammlung Ettrich)

(3) Ansicht 2024

Der Drang der Ritterstraße, sich nach Westen auszudehnen, blieb ungebrochen.

Als 1972 nach 115 Jahren im Gaswerk Döbeln der „Hahn zugedreht“ wurde, begann der Rückbau der Betriebsanlagen. Die Gasometer verschwanden in den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Am 19. August 1999 fiel die Gaswerksesse, und die „Rauchfahne“ wurde endgültig eingezogen. Zwischen Rosa-Luxemburg-Straße und Rudolf-Breitscheid-Straße entstand eine innerstädtische Industriebrache.

(1) Blick aus Richtung Osten vom Salzgraben an der Mulde auf den Scheibengasometer (vor 1976).
(2) Heute verläuft hier die verlängerte Ritterstraße, links steht das neue Sparkassengebäude.

600 Meter bis zum Finale

Im Plan der Stadtväter war der noch fehlende Abschnitt von etwa 135 Metern zur Anbindung an die Rosa-Luxemburg-Straße längst vorgesehen. Doch ein Hindernis stand im Weg: das sogenannte SPD-Haus am Muldensteg. Seit März 1999 ist auch dieses Gebäude Geschichte. Man einigte sich einvernehmlich, und die Straßenbauer legten zügig los. Bereits am 29. August 2000 rollte der Verkehr auf der Ritterstraße westwärts von der Oberbrücke bis zur Einmündung am Stammhaus der Döbelner Stadtwerke. Heute reicht die Ritterstraße bis zur Brücke am Stadtbad. Autofahrer können dort links zur Bahnhofstraße oder rechts zum Leipziger Berg abbiegen.

An diesem Punkt, der 660 Meter vom Anfang entfernt ist, erreicht die Straße ihr westliches Ende. Von hier ist es nur ein Katzensprung bis zum Zusammenfluss der beiden Muldenarme – über das Gelände der Stadtwerke hinweg. Doch auf unseren Strom- und Erdgasanbieter wollen wir nicht verzichten. Deshalb begraben wir an dieser Stelle die Pläne, die Ritterstraße über die Mulde bis zum Steigerhausplatz zu verlängern. Schließlich sollen in Döbeln nicht „die Lichter ausgehen“.

Auf dem Rückweg werfen wir einen Blick auf das, was entlang der „neuen“ Ritterstraße entstanden ist. Am Anfang lädt ein begrünter Fußweg am Muldenufer zum Bummeln ein. Nahe der Stadtbadbrücke lockt eine kleine Anlage mit Bänken zum Verweilen. Ein großzügiger Parkplatz erstreckt sich bis zur ehemaligen Salzgasse. Zum Stadtfest wird hier der Rummel aufgebaut. Wer dabei mit dem Riesenrad fährt, genießt einen faszinierenden Blick auf die Innenstadt und das Muldental.

Seit Oktober 2002 führt ein neu errichteter Steg, eine schwungvolle Stabbogenbrücke, von der Höhe der Sparkasse auf die andere Muldenseite. Wir bleiben in Flussrichtung gesehen jedoch „linksmuldig“ und kommen so im Bereich der ersten Verlängerungsstrecke an. Im Juni 2009 begann an der Staupitzmühle das große Flutschutzmauer-Projekt. Es erforderte erheblichen technischen Aufwand: Der Mühlgraben wurde ab der Staupitzmühle verrohrt und im Muldenbett eine halbseitige Baustraße bis zum neuen Muldensteg aufgeschüttet. Entlang des linken Ufers setzte man zahlreiche Betonbohrpfähle, die als Fundamente die Schutzmauer tragen und den Straßenbaukörper stabilisieren. Anfang 2012 endete am Steg der erste Bauabschnitt des Flutschutzprogramms für Döbeln.

Flutschutzmauern im Bereich der verlängerten Ritterstraße

Im August 2011 nahmen sich Bauleute das Erich-Heckel-Haus vor, dessen Vorderfront zum Niedermarkt zeigt (Haus-Nr. 15). Das denkmalgeschützte Gebäude wurde fachgerecht saniert. Die Rückseite, die bis zur Ritterstraße reichte, erhielt eine völlig neu gestaltete Fassade in modernem Stil. Die Kreissparkasse, die das Geburtshaus des Malers erworben hatte, leitete die Arbeiten. Das ansprechende Ensemble trägt nun den Namen „Sparkassenhaus Erich Heckel“. Der expressionistische Maler (1883–1970) wird auch durch einen kleinen Platz geehrt, der zur Ritterstraße zeigt und liebevoll gestaltet wurde. Die Kreissparkasse Döbeln ist nun unter „Erich-Heckel-Platz Nr. 1“ zu finden. Die frühere Adresse „Ritterstraße 51“ gehört der Vergangenheit an – was den Kunden wohl egal ist, solange ihre Geldanlagen sicher bleiben.

Erich-Heckel-Haus der Döbelner Sparkasse

Häuser mit Geschichte(n)

Nun wenden wir uns einigen besonderen Häusern der „Original-Ritterstraße“ zu. Das Haus Ritterstraße 1, die Staupitzmühle, steht seit vielen Jahren und wird wohl noch lange dort bleiben. Anders erging es der Nummer 2, einem mehrgeschossigen Wohnhaus, dessen muldenseitiges Eck einst die Torwache des Staupitztores beherbergte. Nach der Wende verfiel das Gebäude zusehends und wurde zur Gefahr für Passanten. Der Abriss im März 2010 brachte das Ende. Die neue Freifläche zwischen Mühlenhaus und Ritterstraße 3 gestaltete man mit Pflanzenrabatten, Bänken und vier jungen Linden. Wer denkt da nicht an das alte Lied vom Lindenbaum am Tore? Leider gibt es das Tor und auch den letzten Müller von Döbeln nicht mehr. Die heute hier Verweilenden haben am „Werner-Braun-Eck“ (Namensgebung des Verfassers) einen schönen Ausblick zu dem modernen Wohnkomplex unterhalb des Terrassengutes an der Staupitzstraße. Der neue Staupitzsteg, „Döbelns Blaues Wunder“, wurde am 9. März 2004 eingeweiht.

(1)/(2) Früher musste eine kleine Lücke zwischen zwei Häusern reichen, um von der Staupitzstraße über den Staupitzsteg Richtung Innenstadt zu gelangen. Das Haus Ritterstraße 2 wurde wegen Baufälligkeit abgerissen. Eine Grünfläche lädt zum Verweilen ein. Ob seines Farbanstriches gilt der Staupitzsteg heute manchem als Döbelns "Blaues Wunder".
(3) Zwischen der Staupitzmühle und dem Haus Ritterstraße 3 lädt eine Freifläche zum Verweilen ein.

Weiter entlang der linksseitigen Häuserzeile Richtung Oberbrücke erstreckt sich ein weitgehend unbebautes Areal zwischen den Rückseiten der Häuser und dem Muldenufer des Nordarms. Früher grasten hier Tiere auf den Teichwiesen, und Mühlenesel sammelten neue Kraft für das Tragen der Säcke. Heute laden die Überreste der alten Stadtmauer bei einem Spaziergang zum Staunen ein. Städteplaner sehen in diesem Bereich großes Potenzial, um mit einem „Erweckungskuss“ den Dornröschenschlaf zu beenden und die Idee eines verlängerten Muldewanderwegs voranzutreiben.

Im Haus Ritterstraße Nr. 5 lebten bis 1895 die Eltern des berühmten Schriftstellers Erich Kästner. Vater Emil betrieb hier eine Sattlerwerkstatt, die allerdings schlecht lief. Aus diesem Grund zogen die Kästners nach Dresden. Nicht auszudenken, wenn sie der alten Heimat treu geblieben wären. Dann hätte ihr Sohn Erich 1899 nicht in der Landeshauptstadt, sondern in Döbeln das Licht der Welt erblickt.

Interessant war einst Haus Nummer 7. Dort eröffnete 1893 auf zwei Etagen „Meyers kleines Warenhaus“. In einem Gebäudeteil des Hofbereichs flimmerten ab 1916 im Kino „Colosseum“ Stummfilme, begleitet von einem Pianisten und einem Erklärer. Nach 1945 blieb die Leinwand des inzwischen in „Union-Theater“ umbenannten Kinos dunkel. Später wurde das Gebäude ein beliebter Treffpunkt für Sammler, denn Altwarenhändler Karl Mantel bot hier alles an, was wiederverwendet werden konnte – ein Vorläufer moderner Recycling-Ideen.

Haus Nummer 10 markiert die Stelle, an der sich die Ritterstraße zur Oberbrücke hin deutlich verbreitert. Die Häuserfront von Nummer 10 bis 12 bildet den westlichen Abschluss des Ritterstraßen-Platzes.

(1) Viele Häuser der Ritterstraße waren in den 1970er und 1980er Jahren dem Verfall preisgegeben, 02.08.1975 (Foto: Sammlung Ettrich)
(2) Ein Unterschied wie Tag und Nacht - die Ritterstraße im Jahr 2024 aus ähnlicher Perspektive.

In der Nr. 12 betreibt Andrea Panke mit der „Buch-Oase“ die einzige Buchhandlung Döbelns. Mit Nummer 13 setzt sich die Straße Richtung Oberbrücke fort. In diesem Haus von Karl Kaden konnte man einst bei einem Glas Wein verweilen und Nachschub für den eigenen Keller bestellen. Die Damen fanden im Eckhaus bei Herrn Spranger modische Korsetts.

Das bekannteste Gebäude in diesem Abschnitt ist Haus Nummer 14. Seine Geschichte begann in grauer Vorzeit als Burgherberge und endete am 30. Juni 1963 – vorerst nur funktional. Der Gebäudekomplex mit zwei Hinterhöfen und großen Wagendurchfahrten reichte bis zu einem parkähnlichen Bereich am Muldenufer. Hier fanden Ross und Reiter Unterkunft. Ab 1722, zur Zeit Augusts des Starken, richtete man eine Posthalterei ein, und die gelben Postkutschen legten hier ihren „Boxenstopp“ ein. Ab 1899 brachte die Pferdebahn Gäste vom Döbelner Hauptbahnhof über einen kurzen Anschluss-Gleisbogen von der Sattelstraße direkt vor das Hotel „Goldne Sonne“. Für Unterhaltung sorgte ein großer Festsaal im ersten Stock, während im Erdgeschoss 1929 das Lichtspieltheater „Metropol“ eröffnete.

(1) Die "Goldne Sonne" in der Ritterstraße war das bekannteste Hotel der Stadt (Aufnahme um 1900).
(2) Heute wird das Gebäude vom Pflegedienst Brambor genutzt und zahlreiche Mieter schätzen die geschäftige Ritterstraße vor der und die kleine grüne Mulden-Oase hinter der Tür.

Die Postkarte der "Goldnen Sonne" zeigt links unten der Ballsaal, rechts den Biergarten hinterm Haus, der idyllisch unter Bäumen am Ufer der Mulde lag.

Gestatten Sie mir einen kurzen emotionalen Ausflug in meine Pennälerzeit (1949–1953). Damals lernte ich beide Etablissements gründlich kennen: Ich weinte in der Flohkiste bei rührseligen Filmen, schwang das Tanzbein auf Faschingsbällen von Suse Baumann und tauschte zaghaft Zärtlichkeiten im Mondschein am Muldenufer aus. Wer möchte das missen? „Vorbei und Schluss“ lautete 1993 auch das Motto für die „Goldne Sonne“. Fast zwei Jahrzehnte später ließ ein rühriger Bauunternehmer aus Döbeln, Sven Weißflog, das geschichtsträchtige Bauwerk wieder aufleben. Er schuf dort einen großen Komplex als Mehrgenerationenhaus mit allem Drum und Dran. Während die Hinterfront stufenförmig modern gestaltet wurde, behielt die Straßenfront ihr altes Aussehen. Eine ähnliche Wiedergeburt gelang dem Baumeistersohn Martin Weißflog im Haus Nr. 13. Er betreibt hier schon länger den Biomarkt „Einklang“.

Im rechten Nachbarhaus der „Goldnen Sonne“ übernachtete Preußenkönig Friedrich II. vom 1. auf den 2. September 1757. Wahrscheinlich nutzte er den Aufenthalt für eine Inspektion seiner Truppen während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763). Am 12. Mai 1762 lieferten sich Österreicher und Sachsen bei Döbeln ein Gefecht mit den Preußen.

Der Streit zweier Brüder

In Nummer 16 konnte man in der einstigen Pfandleihe sein „Tafelsilber“ beleihen lassen - ein Beleg dafür, dass manche auch früher „lausige Zeiten“ erlebten. In der Nr. 17 reparierte ein Glasermeister zerbrochene Fensterscheiben und Spiegel. Derzeit lockt dort das KL 17 seine Gäste mit gepflegter Gastronomie, einem schönen Biergarten und Live-Musik. Max Feiler in Haus Nr. 18 war eine bekannte Adresse für Zweiradfreunde. Dort gab es alles für Fahrräder, Motorräder und Nähmaschinen.

Noch 1987 war die Kleine Kirchgasse tatsächlich eine Gasse. Mit dem Abriss der Ritterstraße 24 (mittig) entstand Platz für eine mehrspurige Straße.

Nach dem Wohnhaus Nr. 19 endet die Nordseite der Ritterstraße mit dem Eckhaus Nr. 20, wo heute die Apotheke „An der Oberbrücke“ zu Risiken und Nebenwirkungen berät. Vor der Apothekenzeit nutzte man das Haus als Wein- und Destillierhandlung. Zwei steinerne Menschenköpfe blickten einst von der Fassade auf die Straße. Die „Döbelner Kegelbrüder“ hatten beim Kegelspiel um das häusliche Erbe gekämpft. Beim Umbau verschwanden beide Köpfe. Doch die Döbelner fanden die Geschichte so spannend, dass die Stadtverwaltung 1992 den Chemnitzer Bildhauer Stephan beauftragte, die Kegelbrüder neu zu schaffen. Er formte zwei klobige Gesellen aus Sandstein, 3,5 Tonnen schwer und 2,2 Meter hoch. Die Baustatiker diagnostizierten: Für die Oberbrücke zu schwer. Deshalb stellte man sie im Oktober 1994 am Eingang der Ritterstraße auf. 2002 zeigte sich, dass nur einer der Brüder dort sicher stand. Trotz großer Masse kippte ein Kegelbruder während der Flut zur Seite. Wen traf das Malheur? Nicht den Sieger des Wettkegelns, sondern zum wiederholten Mal den Verlierer. Was lehrt uns das? Auch Geschichte wiederholt sich.

Döbelner Kegelbrüder (2024)
Dort, wo früher Hufe beschlagen wurden, können heute Spaziergänger entlang der Mulde flanieren.

Links um die Ecke gab es früher noch die Häuser 22 und 23 mit einer Hufschmiede. Ob die Ritter dort einst ihre Streitrösser beschlagen ließen, überliefert die Geschichte nicht.

Für den Rückweg zur Mühle wechseln wir die Straßenseite. Das Eckhaus Nr. 24 an der Kleinen Kirchgasse fiel, wie viele andere, dem großen „Kahlschlag“ für den ungehemmten Verkehrsfluss zum Opfer. Mit ihm verschwand das mittelalterliche Gassenflair. Zurück blieben „offene Abrisswunden“, die nur notdürftig kaschiert wurden.

Zwei stattliche Häuser der Ritterstraße haben sich zwischen Kirchgasse und Sattelstraße behauptet. (2024)

In Nr. 24 befand sich zuletzt die große Brückendrogerie. Von den vier Häusern zwischen Kirchgasse und Sattelstraße stehen heute nur noch zwei. Eines davon hatte zu DDR-Zeiten Statuscharakter: Im „Intershop“ konnten DDR-Bewohner und ihre Gäste gegen Westgeld Waren aus der „weiten Welt“ kaufen. Heute erledigen wir solche Einkäufe im Supermarkt auf der grünen Wiese. Das rechte Eckhaus zur Sattelstraße, die Ritterstraße 27, beherbergt nun das Bistro „Mendo“. Daneben lagen einst Otto Rumlands Molkereigeschäft und ein Friseursalon. Heute findet man hier das Stoffgeschäft „Nähweißchen & Fadenrot“.

Auf Höhe der Häuser 30 bis 32 verengt sich die Ritterstraße spürbar. Hier präsentiert eine bekannte Döbelner Traditionsfirma ihre Auslage: das Handelsgeschäft Spielwaren-Faßbinder. Gegründet 1919 auf dem Obermarkt 4, zog es 1925 in die Ritterstraße. Nach Rudolf und Harro steht heute Heiko Faßbinder „hinter dem Ladentisch“. Anfangs verkaufte und reparierte die Firma Fahrräder und Nähmaschinen. Später kamen Kinderwagen und Spielzeug hinzu. Heute reicht das Sortiment bis zu Garteneisenbahnen für „große“ Kinder.

Spielwarengeschäft Fassbinder (2024)
Antikwelt Scholz & Tochter (2024)

In der Häuserzeile bis zur Zweckengasse finden sich damals wie heute kleinere Läden. In der Nr. 35 kann man im Antiquitätengeschäft „Antikwelt Scholz & Tochter“ gute alte Stücke in klingende Münze verwandelt. Hinter der Parkfläche am Rathaus und der Einmündung zur Stadthausstraße stehen die Häuser Ritterstraße 40 und 41. An der Ecke bot Gustav Höhle einst Drogerie- und Kolonialwaren an. Das Haus 41, gegenüber dem Mühlenhaus, existiert nicht mehr.

Am Ende unseres Nostalgie-Bummels ruhen wir uns auf einer Bank am „Mühlen-Eck“ aus und ziehen Bilanz. Die alte Ritterstraße lebt weiter – mit Geschäften, Händlern, Handwerkern und Gastwirten. Engagierte Döbelner haben mit Ideen und Elan das alte Flair neu belebt. Die Ritterstraße braucht sich nicht mehr hinter Döbelns „Guten Stuben“ auf Ober- und Niedermarkt zu verstecken. Zwar zeigen Geschäftsnamen wie „Hair Factory“ oder „Gourmandise“ den Zeitgeist, doch solange die Ritterstraße nicht zur „Knightstreet“ oder „Rue de Chevalier“ wird, bleibt alles im Lot. Das würde auch der letzte Müller von Döbeln so sehen. Würde er aus dem Haus Ritterstraße 1 treten, könnte er durch ein lebendiges Umfeld schreiten.

Gerhard Heruth
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Mitgliederinformation Nr. 44
Mai 2013

Der Artikel wurde im Mai 2025 vorsichtig aktualisiert.