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"Volkszeitung", 14. Juni 1946

In Vorbereitung des Volksentscheids über die Enteignung sog. Nazi- und Kriegsverbrecher in Sachsen, der am 30. Juni 1946 durchgeführt wird, erscheint am 14. Juni 1946 ein Artikel über die NS-Vergangenheit Erhardt Tümmlers. Der Betriebsleiter und Inhaber der Firma Robert Tümmler wird als Anhänger des NS-Staates diffamiert, um möglichst vielen Wähler zu verdeutlichen, dass man die Tümmler-Werke enteignen muss. Ziel des Artikels ist keine differenzierte Betrachtung von persönlicher Schuld, sondern eine Herabwürdigung der Person Erhardt Tümmlers, um über eine Enteignung einer neuen sozialistischen Wirtschaftsordnung den Boden zu bereiten.

Eine Villa für den Kreisleiter!
Streiflichter aus dem Dritten Reich

Es gibt Menschen, die, wie der einfache Mann sagt, den Hals nie voll genug bekommen können. Dem ehemaligen Inhaber der Firma Rob. Tümmler - Erhardt Tümmler - ging es ähnlich. Obwohl dieser Betrieb zu den namhaftesten seiner Branche in Deutschland zählte und vielerlei Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland unterhielt, genügte das seinem Besitzer bei weitem nicht.

Erhardt Tümmler gehörte seit 1933 der NSDAP an. Schon vorher war er Stadtrat der sogenannten bürgerlichen Fraktion. Mit fliegenden Fahnen wechselte er beim "Umbruch" ins Lager der Nazis über, um auf diese Weise den Posten eines Stadtrates weiter zu bekleiden. Wenn in seinem Privatschreibtisch Unterlagen gefunden wurden, aus denen hervorgeht, daß er auf einen Schlag 60 000 RM für die Gliederungen der Nazipartei spendete, so zeigt sich daraus seine politische Verwandtschaft mit jenen Leuten, die vor und während des Krieges sagten: Wir haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen! Und gewinnen wollte ja auch Erhardt Tümmler. Alle Mittel waren ihm dazu recht. Ein kleines Beispiel nur: Um sich bei seinem Kreisleiter Behr besonders beliebt zu machen, kaufte er in den Klostergärten eine pompöse Villa und stellte sie ihm zur Verfügung.

Während die Firma vor 1933 in der Hauptsache Möbel- und Autobeschläge herstellte, war Tümmler bemüht, alle Gelegenheiten wahrzunehmen, um seinem Betriebe Rüstungsaufträge zuzuführen. Und siehe da: der Laden klappte! Was machte es ihm schon aus, mitten im "tiefsten Frieden", und zwar von 1933 an schon teilweise Kriegsmaterial zu produzieren. So wurde Erhardt Tümmler "Wehrwirtschaftsführer" und gleichzeitig Verbindungsmann zur Gestapo. Dadurch nahmen seine guten Beziehungen noch zu, und er stellte schließlich seinen gesamten Betrieb auf die Rüstung um. Damit stellten sich aber auch neue "Sorgen" ein: Die Betriebsräume reichten nicht aus, und eine wesentliche Erweiterung durch den Bau eines neuen Werkes machte sich erforderlich.

Und jetzt ein Blick hinter die Kulissen: Während die jährliche Produktionskapazität des Betriebes vor 1933 etwa 5 Millionen RM betrug, stieg sie in der Zeit von 1933 bis 1039 auf 6,5 Millionen RM, um dann sprungartig von 1939 bis 1945 auf 15 Millionen RM jährlich anzuwachsen. Auch die Belegschaft nahm an Stärke ständig zu. Waren es vor 1933 durchschnittlich 800 männlich und weibliche Arbeitskräfte, so erhöhte sich diese Zahl in den Jahren von 1933 bis 1939 auf rund 1200 und von 1939 bis 1945 auf 1600 bis 1800 ständig Beschäftigte.

Noch krasser ist das Verhältnis der Reingewinne. Der Herr "Betriebsführer" konnte wirklich damit zufrieden sein! Während diese Reingewinne vor 1933 rund 200 000 RM betrugen, wuchsen sie, immer jährlich gesehen, bis zu 1938 auf 500 000 RM an, um dann 1939 auf der beachtlichen Höhe von 700 000 RM zu bewegen. Während des Krieges schwankten sie dann zwischen ein und zwei Millionen RM.

Sofort wird jetzt die Frage auftauchen, was denn wohl der Inhaber für seine persönlichen Zwecke gebraucht habe. Hier die Antwort: Seine jährlichen Entnahmen lagen zwischen 30 000 und 40 000 RM. Sehen wir uns auch mal die Werkküche an, deren Leitung Frau Tümmler hatte! Oh, es lohnt sich schon, der Form halber etwas Fühlung mit der Arbeiterschaft zu behalten! Die "Chefin" war ja die "Einfachheit" selbst, wenn sie auch außerhalb ihrer 500 RM Monatsgehalt dem Reingewinn noch jährlich 22 000- 24 000 RM für persönliche Zwecke entnahm. Darüber hinaus wurde noch eine Lebensversicherung in Höhe von 18 000 RM unterhalten.

Es ist weiter interessant, einen Blick in die Aufstellung eines Vermögensverzeichnisses zu werfen, von der noch heute eine beglaubigte Bestätigungsniederschrift des Gerichstvollziehers beim Amtsgericht zu Döbeln vorliegt. Da auch Herr Tümmler Kriegsschäden befürchtete, ließ er diese Aufstellung, die einen Taxwert an Wohnhausinventar und Schmuck in Höhe von 420 074,20 RM ergab, anlegen. Ein rundes Sümmchen, in dem allein ein Nerz-Pelzmantel mit 20 000 RM vertreten ist!

Wie hoch hätte wohl der Taxwert gelautet, wenn auch die Produktionsräume mit ihrer mascinellen Einrichtung in der Aufstellung enthalten gewesen wären!

Das waren die Ausgaben für zwei Leutchen - allerdings vom Format Tümmler.

Die sozialen Aufwendungen für die gesamte Belegschaft betrugen 75 000 RM. Die Arbeitslöhne waren so gering, daß eine der Arbeiterinnen den Mut zum Leben verlor und den Tod im Wasser suchte. Herr und Frau Tümmler aber konnten mindestens ein Viertel jedes Jahres auf ihrer Besitzung "Seefeld" in Tirol verbringen. Natürlich hatte Herr Tümmler auch ausländische Arbeiter beschäftigt. Es waren 360 Mann. Die Verpflegung und Unterbringung ließen mehr als zu wünschen übrig. Die Fremdarbeiter wurden sogar gezüchtigt! In so einem Betrieb waren selbstverständlich auch Bespitzelungen an der Tagesordnung. In einer Geheim-Kartothek wurden alle Beschäftigen menschlich und politisch charakterisiert. Ein "Erfolg" z.B. war: Der Arbeiter Karl Hacker, der sich ablehnend über den Krieg äußerte, wurde ohne viel Federlesens an die Front geschickt, wo er denn auch verblutete.

Als schließlich das Ende des Krieges nahte und der sogenannte "Volkssturm" mobilisiert wurde, ließ es sich der hitlerhörige Herr Tümmler nicht nehmen, für seinen Betrieb eine besondere Volkssturm-Kompanie aufzustellen, deren Führer er selbst war. Auch sorgte er dafür, daß seine Kompanie in seinem Werksgelände unter seiner Leitung von Wehrmachstangehörigen ausgebildet wurde. Als aber die Rote Armee nahte, zog es dieser Herr Tümmler vor, eine Verlagerung seines Betriebes nach dem Sudetenlans vorzunehmen, was zwar praktisch nicht mehr zur Durchführung kommen konnte, ihm aber wenigstens die Möglichkeiten gab, in fremder Umgebung das Ende dieses von ihm selbst gewünschten und ausgiebig ausgenutzten Krieges zu erleben.

Wir Döbelner kennen diesen Herrn Tümmler zur Genüge! Die Arbeiterschaft erinnert sich noch sehr gut der Zeiten, wo er in seiner Werkscharuniform umherspazierte, gute Freundschaft mit dem danaligen Kreisleiter und anderen Nazigrößen pflegte. Diese Menschen, die am Krieg nur gewannen, während den Frauen die Männer und Söhne genommen wurden, verdienen kein Mitleid. Denken wir daran am 30. Juni!

Quelle: "Volkszeitung", 14. Juni 1946