Metallwarenfabrik Robert Tümmler
- 1856 wird Robert Tümmler in Leipzig geboren. Den Beruf eines Graveurs lernt er beim Hofgraveur und Steinschneider C.F. Haseroth in Altenburg/Thüringen.
- 1876 kommt er als Handwerksgeselle eher zufällig nach Döbeln und arbeitet als erster Gehilfe in der Gravurwerkstatt der Fa. Lange.
- 1878 macht er sich mit einer eigenen Werkstatt in der Bahnhofstraße 63 selbstständig. Seine "Gravir-Anstalt" zur "Anfertigung aller Gravir-, Modellier- und Cisellirarbeiten" verlegt er später erst ins Schindlersche Haus Nr. 16 am Niedermarkt, dann in Räumlichkeiten der Pianofortefabrik Werner, Niedermarkt 19. Tümmlers bahnbrechende Geschäftsidee sind Möbelbeschläge aus Metall. Die Beschläge waren bisher meist aus Holz, Elfenbein und Horn. Metall setzt sich als Material schon bald in Deutschland und ganz Europa durch.
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Seltenes Stück: Eine Auftragsbestätigung der Werkstatt Robert Tümmlers aus dem Jahr 1885.
- 1887 beschließt der Rat der Stadt Döbeln, Tümmler ein Areal in der Zimmerstraße (heute Schillerstr.) für den Bau einer Fabrik zu überlassen. Dafür muss er eine offene Schleuse in eine Rohrschleuse umwandeln.
- 1888 entstehen in der Zimmerstraße erste Fabrikgebäude, 1891 erfolgen größere Erweiterungen. Zwei hohe Fabrikschornsteine prägen das Stadtbild.
- Im Jahr 1906 ist es Tümmler durch den Rückkauf eines Areals an der Brücke Königstraße (heute Straße des Friedens) möglich, einen Fabrikneubau an der Muldenseite zu errichten.
- 1907 wird Robert Tümmler zum Königlich Sächsischen Kommerzienrat ernannt. Nach Entwürfen des im Industriebau renommierten Leipziger Architekturbüros Händel & Franke lässt er in den Jahren 1907-09 auf dem Fabrikgelände einen großen und modernen Neubau errichten, in dem Lager, Versand und kaufmännische Abteilungen untergebracht sind.
(1) Die Metallwarenfabrik Robert Tümmlers war ein kleiner Stadtteil für sich. Sie erstreckte sich zwischen Mulde und Schillerstraße vom Körnerplatz bis zur heutigen Straße des Friedens.
(2) (3) (4) Gebäudebestand der ehemaligen Tümmler-Werke in der Schillerstraße um 1993, © Stadtmuseum Döbeln, Fotograf: Harry Heidl
(5) Nach der Wende wurde die Fabrik abgerissen (siehe Fotostrecke unten) und die Kaufland Stiftung & Co. KG errichte eine große Filiale mit dazugehörigen Parkplätzen. Durch eine Fußgängerbrücke wurde der Einkaufstempel an die Innenstadt angebunden.
(1) Seltene Aufnahme von der Muldenseite auf die Fabrik Tümmlers. Die Ufermauer hatte man aus Stampfbeton und einen Kolonnadengang aus Eisenbeton errichtet.
(2) Blick vom Turm der Nicolaikirche Richtung Tümmler-Fabrik (vor 1909)
- Robert Tümmler ist lokal fest verankert: Das Reiterstandbild des sächsischen Königs Georg, das 1911 auf dem Niedermarkt errichtet wird, ist eine Gemeinschaftsinitiative von Bezirkskommandeur Oberstleutnant Göhler, Bürgermeister Müller und Kommerzienrat Tümmler.
- Der Firmengründer hat nicht nur ein Gespür für technische Innovationen, sondern kennt auch den Geschmack seiner Kunden: 1912 lässt er sich 1600 Heliotypien mit Möbel- und Schmuckgegenständen aus dem Pariser Louvre zuschicken, um daraus Anregungen für die Gestaltung der eigenen Möbelbeschläge zu erhalten.
Katalog der Fa.Tümmler für Möbelbeschläge und Garderobenhaken von 1912 (Quelle: Archiv Stadt Döbeln)
- Der Erste Weltkrieg ist für das Unternehmen als Teil der Konsumgüterindustrie ein gewaltiger Einschnitt. 1914 sind noch 1030 Mitarbeiter angestellt. 1915 nur noch 300.
- Durch eine Stiftung Robert Tümmlers entstand 1915 auf dem Döbelner Parkfriedhof des Niederfriedhofs das Brunnendenkmal "Der gute Hirte". Das Konzept für die Anlage erstellte Stadtbaumeister Richter, das Denkmal gestaltete Prof. Johannes Hartmann aus Leipzig.
Grabanlage auf dem Niederfriedhof
- 1917 stirbt Robert Tümmler im Alter von 61 Jahren. Sohn Robert Erhardt Tümmler wird Inhaber und Betriebsleiter der Firma. Die Erben stiften der Stadt Döbeln 100 000 Mark. Die Hälfte der Stiftung ist für Beamte und Arbeiter der Fa. Tümmler vorgesehen.
- Der neue Inhaber übernimmt wegen zu geringer Lagerkapazitäten das frühere Helbigsche Stadtgut.
- Die Firma des Gründers wird in die Firmen aufgeteilt: "Robert Tümmler, Metallwarenfabrik" (Inhaber Erhardt Tümmler) und "Gebr. Tümmler Maschinenfabrik" (Inhaber sind Erhardt Tümmler und sein Adoptivbruder Adolf Tümmler).
- Möbelbeschläge bleiben das Hauptgeschäft. 65% der Belegschaft sind damit befasst. Darüber hinaus produziert man photographische Stative und andere Metallmassenartikel. 41 % der Erzeugnisse gehen in den Export, in fast alle europäischen Länder sowie nach Süd- und Mittelamerika, die USA und nach Afrika.
- In der Firma streiken vom 11.-15. März 1919 136 Arbeiter. Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Unternehmens werden nach dem Krieg schwieriger. Durch die Tarifbildung sind nunmehr die Löhne um 20% höher als z.B. in benachbarten preußischen Standorten der Provinz Brandenburg. Auch die kommunalpolitischen Verhältnisse ändern sich - Döbeln ist eine Hochburg der Sozialdemokratie mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad besonders der qualifizierten Arbeiter.
- Seit 1922 produzierte man auch Beschlagteile für Autokarosserien (z.B. Türgriffe). Deutschlandweit wurden die Tümmler-Werke in diesem Bereich einer der Marktführer, belieferten Opel, Ford, Daimler-Benz, Horch und später die Auto-Union.
- Wegen höherer Lohnforderungen aufgrund der Inflation kommt es am 06. August 1923 zu Arbeitsniederlegungen. Aufgerufen zum Streik hatte die von den Metallarbeitern gewählte "revolutionäre Ortsverwaltung". Der Streik beginnt in der Nagelfabrik Meyer in Großbauchlitz, greift aber schnell auch auf die Tümmlersche Fabrik über. Insgesamt beteiligen sich 2553 Arbeiter aus 24 Betrieben. Es ist bis dahin der größte Streik in Döbeln. Die Unternehmer werden durch Arbeitergruppen in das Verhandlungslokal im Hotel "Bahnhof Ost" gebracht. Die Streikenden warten vor der Tür. Als durch eine Drängelei eine Fensterscheibe zerbricht, soll sich Erhardt Tümmler, auf einem Tisch stehend, mit folgenden Worten an die anderen Döbelner Unternehmer gewandt haben: "Meine Herren, unter dem Druck der Straße sind die Forderungen bewilligt!" Es wird ein Stundenlohn von 49 000 Mark und eine einmalige Wirtschaftsbeihilfe von 400 000 Mark ausgehandelt.
- 1926 stirbt Ingenieur Adolf Tümmler. Er war Inhaber einer Lampenfabrik, Teilhaber der Maschinenfabrik Gebr. Tümmler und technischer Leiter der Firma Robert Tümmler.
- Ende der 1920er Jahre wird neben Metall auch zunehmend Kunststoff verarbeitet.
- 1928 hat die Firma 1400 Beschäftigte. Der Erfolg als Zulieferer der aufstrebenden Autoindustrie wird durch Innovationen erreicht: 1930 baut man den ersten verschließbaren Türgriff (1930), kurz darauf erfindet und produziert man die Lenkstocksicherung.
- 1931 wird die Straße vom Bürgerheim zur Leipziger Straße zur "Robert-Tümmler-Straße".
- 1938 beschäftigen die Tümmler-Werke 1837 Mitarbeiter.
Mehrfach unternehmen die Belegschaften der Tümmler-Firmen im Rahmen der Aktion "Kraft durch Freude" (KdF) Betriebsausflüge in die Sächsische Schweiz. So gelingt es, die Zugehörigkeit zum Betrieb und zum NS-System zu stärken. Die Fotos 1-4 stammen von einem Ausflug im Juli 1936, die Erinnerungskarte (Foto 5), extra angefertigt, um Daheimgebliebene zu grüßen, aus dem Jahr 1938.
- 1939 ist Robert Erhardt Tümmler 25 Jahre Inhaber und Betriebsleiter. Die Belegschaft übergibt ihm anlässlich des Jubiläums eine von Otto Rost geschaffene Bronzegruppe, die spielende Kinder und Tiere zeigt und als Wasserspender im Zierteich des Betriebsgartens fungiert.
- Im selben Jahr errichtet man ein neues Produktionsgebäude für Karosseriebeschläge in der Muldenstraße.
- Die Werbung rechts aus dem Jahr 1941 zeigt die Produktpalette, mit der Tümmler bekannt wird. Möbel-, Bau- und Autobeschläge sowie Metall-Stative begründen den guten Ruf der Firma.
- Zunehmend steigt das Unternehmen in die Rüstungsproduktion ein. Ab 1940 ersetzt diese den weggebrochenen Export vollständig.
- 1943/44 wird die Möbel- und Autobeschlägeproduktion eingestellt. Das Unternehmen wird zum größten Hersteller von Panzerfäusten, die vom HASAG-Konzern entwickelt worden waren. Man baut auch Tellerminen, Munitionskästen, Geschosskörbe, sowie Teile für Bombenabwurfgeräte und Torpedos. Erhardt Tümmler wird im November 1942 einer der ersten Wehrwirtschaftsführer in Sachsen. Im April 1945 hatte die Firma fast 2000 Beschäftigte. Darunter waren über 100 sowjetische Kriegsgefangene sowie 500 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen.
- Die Firma wird ab Mitte Mai 1945 als bedeutender Rüstungsproduzent enteignet. Zur Erfüllung der Reparationsleistungen werden die Maschinen der Fabrik demontiert.
- Erhardt Tümmler wird von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und verstirbt am 30. November 1947 im sowjetischen Speziallager Nr. 1 in der Nähe von Mühlberg/Elbe. Die Tümmler-Villa in der Schillerstraße wird 1945 zum Kindergarten umfunktioniert. Vier Erzieherinnen und zwei Wirtschaftskräfte betreuen hier bald 70 Kinder.
- Am 14. Mai 1945 berät eine Belegschaftsversammlung in Anwesenheit des KPD-Parteisekretärs Arno Dietze, der als Verbindungsmann des Magistrats zur sowjetischen Kommandantur fungiert, über die weitere Produktion nach dem Krieg. Es wird ein Arbeiterrat und eine Werkleitung gebildet. Der Betrieb geht in die "Treuhandschaft der Arbeiter" über. Zeitgleich werden zur Erfüllung der Reparationsleistungen zahlreiche Maschinen der Fabrik demontiert.
- Nach der Enteignung und der Überführung des Betriebes in "Volkseigentum" erhält das Unternehmen den Namen VEB TEWA (=Technische Eisenwaren), Fabrik für Möbel- und Autobeschläge. Jahrelang dient ein großer Teil der Produktion als Wiedergutmachung für Kriegsschäden in der Sowjetunion.
- Am 04. November 1945 arbeiten 450 Mitarbeiter im VEB TEWA.
- Das unter Erhardt Tümmler neu errichtete Fabrikgebäude in der Muldenstraße wird seit 1946 von dem Pharmaunternehmen Weiss & Co. (später VEB Pharma Döbeln) sowie der Fleisch- und Feinkostfabrik Alfred Lindner aus Dresden (später VEB Pikant) genutzt.
- Trotz der Demontagen nimmt der VEB TEWA 1946 in bescheidenem Umfang wieder die Herstellung von Eßbestecken, Bügeleisen, zahnärztlichen Instrumenten und Bedarfsartikeln auf.
- Am 27. Juni 1946 spricht Walter Ulbricht in Döbeln zum bevorstehenden Volksentscheid über die Enteignung sog. Nazi- und Kriegsverbrecher in Sachsen.
Walter Ulbricht spricht am 07. Juni 1946 auf dem Ernst-Thälmann-Platz (heute Niedermarkt) in Döbeln und wirbt für die Enteignung per Volksentscheid.
- In der Presse wird tendenziös über die NS-Vergangenheit Erhardt Tümmlers und Curt Großfuß berichtet.
- Am 30. Juni 1946 stimmen 13 462 Bürger (79,6%) Döbelns für die Enteignung. Damit wird die schon 1945 erfolgte Defacto-Enteignung nachträglich legitimiert.
Wollen Sie wissen, wie es mit den Döbelner Tümmler-Werken weiterging?
Informieren Sie sich hier über die Geschichte des VEB Döbelner Beschläge- und Metallwerk (DBM).
Nachtrag
Jahrzehnte war es auch politisch nicht opportun, die Frage nach dem Gründer der großen Fabrik an der Schillerstraße zu stellen. Fabrikbesitzer waren Ausbeuter und im Krieg wurden sie zu Nazi- und Kriegsverbrechern. So einfach konnte die Welt in der DDR sein. Die Tümmler-Werke firmierten im Arbeiter- und Bauernstaat als Werk 1 des VEB DBM. Investiert wurde wenig, die Schließung des Werks durch die Treuhand war die logische Folge. Nach der Wende und spätestens, als die Fabrikgebäude 2007/08 abgerissen wurden, stellte man die Frage, wer dieses große Unternehmen einst hier gegründet hat, wieder. Auch wenn die Fabrik 2008 einem Einkaufstempel weichen musste, sollte an die Tümmler-Werke, den viele Jahrzehnte größten Betrieb Döbelns, erinnert werden.
Der Dresdner Bildhauer Vinzenz Wanitschke (1932 - 2012), der auch den Stiefelbrunnen entwarf, arrangierte einen kleinen Gedenkort, der 2008 am Tümmler-Steg, einer Fußgängerbrücke, die Kaufland an die Innenstadt anbindet, platziert wurde. In ziegelroten Backsteinblöcken wurden in halbrunden Vertiefungen menschliche Steinplastiken eingearbeitet, die einst die Fassade der Fabrik zierten. Des Weiteren werden auf kleinen Sockeln Fragmente der Fabrik ausgestellt: ein eisernes Treppenelement, ein Zaunsfeld und zwei Kellergitter. Sie machen deutlich, dass Robert Tümmler, ein Industriepionier Döbelns, nicht nur unternehmerisches Geschick, sondern auch einen gewissen ästhetischen Anspruch beim Bau seiner Fabrik hatte.
© Michael Höhme, "Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Quellen:
Pressausschuss für das Heimatfest (Hg.): Aus der Heimat. Festschrift zum Heimatfest. Döbeln 20.-22. Juni 1914, S. 85
Stockmann, Gottfried: Die Stadt Döbeln als Standort der Industrie. Borna Leipzig 1928, S. 46ff.
"Volkszeitung", 14. Juni 1946
Materialsammlung Karlheinz Enzmann (nicht veröffentlicht)
Bauch, Charlotte: Entstehen und Ende der Tümmler-Werke. Sachsen-Kurier 31.07.1993
Görtz, Armin: Jahrhundert der Familie - Familie Tümmler (10 Artikel) In: Sachsen-Kurier 1994/95
Stadtmuseum Döbeln (Hg.): URL: https://nat.museum-digital.de/people/201312 (02.04.2023)
Tümmler, Andreas: Belegschaft ehrt den Chef. In: DAZ 06.06.2007
Tümmler, Andreas: Verantwortung für die Gesellschaft. In: DAZ 16.09.2009
Heß, Ulrich: Die Firma Tümmler in Döbeln. In: Heß, Ulrich u.a. (Hg.): Unternehmen im regionalen und lokalen Raum 1750-2000. Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Sachsens. Leipzig 2004. S. 169-176
Schmidt, Karolin: Einleitung 20850 Robert Tümmler, Metallwarenfabrik Döbeln, 2003, URL: https://archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?oid=09.10&bestandid=20850&syg_id=&_ptabs=%7B%22%23tab-einleitung%22%3A1%7D#einleitung (10.05.2023)
Gelbrich, Gabriele/ Tümmler, Andreas: Ein Familienschicksal und die Geschichte eines Hauses. Döbelner Anzeiger, 29.04.2006
Spitzner, Sophie: Rüstungsindustrie und Kriegswirtschaft im Muldental – Aufbau und Entwicklung bis zum Kriegsende. Roßwein 2014 (unveröffentlicht)
Bildnachweis:
Porträt Robert Tümmler – Stadtarchiv Döbeln
Werbeanzeigen 1910 - Schwender, Carl Clemens: Döbeln in Sachsen in Wort und Bild. Döbeln 1910
Werbeanzeigen 1925 – Rat der Bezirksstadt Döbeln (Hg.): Döbeln. Berlin 1925
Fotos vom Belegschaftsausflug 1936, Kameradentreffen 1941 – Stadtarchiv Döbeln
Fotos zum Volksentscheid 1946 - Kreiskommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der SED-Kreisleitung Döbeln (Hg.): Im Zeichen unserer Epoche - Zur Geschichte des Kreises Döbeln 1945-1949. Leipzig 1975, S. 60f.
Alle Abbildungen/Fotos ohne Vermerk stammen aus der „Sammlung Döbeln“ von Michael Höhme.
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