Sie sind hier: Startseite » Alte Ansichten

Anfänge der Döbelner Zigarrenindustrie

Kautabaktopf der Fa. C. A. Teichmann, um 1890
  • Am 01. April 1845 gründet Emil Drechsel aus Bayern und sein Schwager Heink die erste Zigarrenfabrik Döbelns - Drechsel & Co. Der Firmengründer war vorher Vertreter für die Rochlitzer Zigarrenfabrik von Steinbach. Er bringt einige Leipziger und den Rochlitzer Zigarrenmacher Lohse mit nach Döbeln und gründet seine Zigarrenfabrik auf dem Oberwerder im Waidhaus der Tuchmacher-Innung. Später zieht er in ein Haus an der Oberbrücke, um die Produktion ausweiten zu können.
  • In den 1850er und 1860er Jahren entstehen noch zahlreiche andere Firmen. Schon bald sind in der Döbelner Zigarrenindustrie 1200 Personen beschäftigt, die in 32 größeren und kleineren Fabriken arbeiten. Verarbeitet wird der billige Pfälzer Tabak, aber auch überseeische Tabaksorten, ab den 1860 Jahren auch Tabak aus Java und Sumatra.
  • Einige Firmen spezialisieren sich. Die Fa. Theodor Ehrlich und Clouth produzieren Rauchtabak mit Rippenschneiderei. Die Firma Gustav Teichmann stellt in der Döbelner Weststraße 4 Kautabak her.

Auswahl der Firmen um 1850

Fa. Drechsel & Co.
Fa Eduard Kießling
Fa. Leutner
Fa. Junghans
Fa. Schmidt und Meyer (später Otto Schmidts Nachf.)
Fa. Robisch & Sturm (später zwei Fabriken Louis Sturm und Friedrich Robisch)
Fa. Louis Otto
Fa. Ernst Stockmann
Fa. Duderstädt & Co. Fa. Julius Rost
Fa. Schleicher & Lorenz, Fa. Stephan & Hentschel
Fa. Petzoldt & Troll
Fa. Wirth & Stein
Fa. Julius Loose
Fa. Karl Becker
Fa. Moritz & Clouth
Fa. Reimer & Deich
Fa. Bracke & Worm

Spurensuche: Auf dem Döbelner Niederfriedhof

Auf dem Friedhof finden sich noch heute die Gräber bekannter Döbelner Zigarrenfabrikanten. Der Wohlstand der Unternehmer sollte sich auch in der Gestaltung der Grabstellen zeigen.

Zigarrenfabrikant Julius Loose

Grab der Familie Loose - Eine kunstvoll gestaltete Skulptur als Blickfang hat nicht jede Familie zu bieten. Stolz wird auf den Stand des Patriarchen Julius Loose hingewiesen: Zigarrenfabrikant.

Zigarrenfabrikant Louis Sturm

Grab von Carl Louis und Clementine Sturm - Carl Louis Sturm hat 1873 seine Zigarrenfabrik gegründet und ist von 1878 bis 1895 Stadtrat. Die Stadtverordneten nehmen am 15.11.1898 seine Spende in Höhe von 6000 Mark für das Bürgerhospital entgegen.

Zigarrenfabrikant Otto Schmidt

Grab von Otto Schmidt - Skulpturen auf einem Grab sind ein greifbares Zeichen für die Angehörigen und überdauern mit ihrer versinnbildlichten Botschaft die Zeit. Die Frauen-Skulptur auf dem Grab von Otto Schmidt gehört zu den schönsten Plastiken des Friedhofs.

Zigarrenfabrikant Carl Friedrich Lorenz

Grab von Carl Friedrich Lorenz - Lorenz wird 1841 in Weißenfels geboren und 1914 auf dem Niederfriedhof beigesetzt. Viele Jahre ist er Stadtrat in Döbeln. Unter anderem deshalb wird ihm 1906 die Ehrenbürgerschaft verliehen. Er hinterläßt in Döbeln Spuren, beauftragt zum Beispiel den Bau der prächtigen Villa, in der heute in der Straße des Friedens die Musikschule untergebracht ist.

Spurensuche: Was ist aus den Zigarrenfabriken von einst geworden?

Fabrik klingt nach einer großen Produktionsstätte. Die Döbelner Zigarrenfabriken waren meist eher Fabrikchen und befanden sich in normalen Stadthäusern oder als zweigeschossige Zweckbauten im Hinterhof. Viele Mitarbeiter waren in Heimarbeit beschäftigt.

Werbeanzeige aus dem Jahr 1910. Die drei Gebäude der ehemaligen Zigarrenfabrik befinden sich an der Roßweiner Straße in der Nähe des Abzweigs Muldenstraße und werden heute zu Wohnzwecken genutzt.

  • Absatz finden die Döbelner Zigarren hauptsächlich in Sachsen und in den norddeutschen Staaten, ein Teil wird auch nach Böhmen ausgeführt.
  • Die Einführung der Tabaksteuer 1906 und einer Wertsteuer von 40% zu dem Tabakzoll von 85 Pf. pro Kilo verteuert die Zigarre so sehr, dass die Produktion stark rückläufig ist. Außerdem macht die Zigarette der Zigarre zunehmend Konkurrenz.
  • Vor dem Ersten Weltkrieg gibt es immerhin noch 26 größere und kleinere Fabriken, die in Döbeln Zigarren herstellten. In ihnen arbeiten ca. 800 Beschäftigte.
Briefkopf Tabak-Fabrik Richard Clouth Döbeln, 1899
Briefkopf Zigarrenfabrik Julius Barthel Döbeln, 1914
Briefkopf Zigarrenfabrik Richard Bernstein Döbeln, 1914
Briefkopf Zigarrenfabrik Otto Schmidt Nachf. Döbeln, 1915
Briefkopf Zigarrenfabrik Ernst Stockmann Döbeln, 1933

Auswahl der Zigarrenfabriken 1925

Deutsche Zigarren-Werke AG

  • Am 01. Oktober 1930 gründet S. Krenter aus Dresden in der Franz-Richter-Straße Nr. 3 (heute Industriestraße) die Krenter Zigarrenwerke GmbH. Im November beginnt man hier mit der deutschlandweit ersten maschinellen Produktion von Zigarren.
  • 1932 muss die Firma Konkurs anmelden.
Das leerstehende Gebäude der ehemaligen Zigarrenfabrik im Jahr 2023.
  • Am 04. Oktober 1932 wird durch I. Rottenberg aus Amsterdam die Deutsche Zigarren-Werke AG mit Sitz in Döbeln gegründet.
  • Um nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten möglichst schnell viele Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen, sollen die Zigarrenfabriken aus politischen Gründen wieder mehr auf Handarbeit zurückgreifen. Das geht in Rottenbergs Döbelner Fabrik nicht, da hier moderne amerikanische Maschinen maschinell produzieren. Konkurrenten protestieren gegen die vermeintliche Bevorzugung des "ausländischen Juden". Unter Druck verpfändet Rottenberg die Aktien seiner Firma 1934 an die Deutsche Bank, die sie an die A. Blase AG in Lübbecke weiterverkauft.
Briefkopf der Firma aus dem Jahr 1938
  • Noch 1943 besitzt die Firma die einzige vollmaschinell arbeitende Zigarrenfabrik im Deutschen Reich. Der Tabak wird maschinell entrippt, geschnitten, gereinigt, getrocknet und entstaubt. Danach stellen Wickelmaschinen die Einlage her. Täglich entstehen 13 000 "Wickel oder Puppen". Im Anschluss erhält jeder Wickel das Deckblatt in der Überrollmaschine.

(1) Arbeiterinnen an einer Etikettiermaschine (2) Arbeit an einer amerikanischen Überrollmaschine (3) Verpackungsabteilung

  • 1945 wird der Sortiermeister R. Bertram Betriebsleiter.
Briefkopf der Firma aus dem Jahr 1947 (Quelle: Stadtarchiv Döbeln)
  • Noch in den 50er Jahren firmiert der Betrieb, der unter anderem die bekannte Zigarrenmarke "Jagdkammer" herstellt, unter dem Namen Deutsche Zigarren-Werke AG.

VEB Leisniger Zigarrenfabriken, Werk Döbeln

Jubiläumsausgabe der Zigarrenmarke "Jagdkammer Gold" mit der Bauchbindenaufschrift "1000 Jahre Döbeln" © Stadtmuseum Döbeln, Fotograf: Harry Heidl
  • 1953 wird der Betrieb dem VEB Leisniger Zigarrenfabriken unterstellt. In den 1950er Jahren werden die Sorten "Bolento" und "Rekord" produziert.
  • 1969 sind 720 Beschäftigte angestellt (460 im Hauptwerk Döbeln in der Industriestraße, 140 im Werk I in der Waldheimer Straße 1).
  • Zwischen 1969 und 1978 werden 35 Mio. Mark in Döbeln und Leisnig in Baumaßnahmen und technische Ausstattung investiert. Zum Beispiel werden neue Wickel-, Überroll-, Feuchtpuderpress- und RSC-REX-Maschinen (holländische Wickel- und Überrollmaschinen zur Herstellung von Zigarillos) gekauft.
  • Die Produktionszahlen sind beeindruckend: Sorte Jagdkammer-Trumpf ca. 46 Mio. Stück pro Jahr, Sorte Jagdkammer-Rekord 6 Mio. Stück pro Jahr, Sorte Jagdkammer-Cabinet 3 Mio. Stück pro Jahr, Schnupftabak 3-6 Tonnen.
  • Den Mitarbeitern stehen betriebseigene Bungalows in Neuhof/Brandenburg zur Verfügung. In Kromlau bei Bad Muskau wird ein Ferienlager für die Kinder der Beschäftigten und weitere Ferienbungalows unterhalten.
VEB Leisniger Zigarrenfabriken, Werk Döbeln

VEB Zigarrenfabrik Döbeln

Auch Schnupftabak gehörte zur Produktpalette.
  • 1979 entscheidet das Kombinat VVB Tabakindustrie Berlin, die Betriebe in Döbeln und Leisnig zu trennen. Leisnig wird als Werk IV des VEB Dresdener Zigarrenfabriken auf Zigarettenproduktion umgestellt. Das Döbelner Werk erhält als VEB Zigarrenfabrik Döbeln seine juristische Selbstständigkeit zurück und wird zum Leitbetrieb der Zigarrenindustrie der DDR.
  • 1981 wird das Areal der Döbelner Zigarrenfabrik in der Industriestraße dem VEB Süßwarenkombinat Halle zur Verfügung gestellt. Es wurde umgebaut und abgebaut und auf Süßwaren umgerüstet. Für die Mitarbeiter ging es nahtlos weiter, nur eben mit anderen Produkten. Wo vorher noch Zigarren vom Band rollten, wurden jetzt Märchenriegel und für Weihnachten und Ostern Hohlkörper aus Schokolade produziert. Nach 136 Jahren endet in Döbeln die Tradition der Zigarrenherstellung.

VEB Rohtabak

  • Tabak ist nach dem Zweiten Weltkrieg Mangelware und Zigaretten gelten als "zweite Währung". Not macht erfinderisch. Es reift die Idee, den Tabak selbst in Döbeln und Umgebung anzubauen. In einer Scheune der Landmaschinenfabrik Franz Richter beginnt man mit Anbauberatung, Aufkauf und Fermentierung. Das ist die Geburtsstunde des VEB Rohtabak.
  • Schon bald bauen 15 000 Lieferanten in und um Döbeln Tabak an. Mitunter werden kleinste Flächen in Kleingärten, an Bahndämmen und Feldrainen genutzt. Ein kleiner Ratgeber wird publiziert, der Tipps für den Tabakanbau gibt.
  • 1946 begann die Herstellung fermentierter Tabake. Die Anbaugebiete reichen von Niesky bis Bad Salzungen und von Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) bis Eilenburg, Torgau und Cottbus. In jeder Region gibt es sog. Tabakanbauberater mit Spezialkenntnissen zur Kultivierung der Tabakpflanze.
  • Im Jahr 1949 produziert man schon 581 Tonnen Tabak. Es gelingt danach, den Anbau zu konzentrieren, die Zahl der Anbauer zu senken und langfristige Lieferverträge abzuschließen.
Die Belegschaft der Tabakanbau GmbH Döbeln Anfang der 1950er Jahre

Einblicke in die Produktion - (1) Arbeit an einer Überrollmaschine (2) Manuelle Deckblattvorbereitung, 1980er Jahre

  • 1979 produziert der Döbelner Betrieb mit 850 Anbauern 15 051 Tonnen fermentierten Rohtabak und führt 1,9 Mio. Mark Gewinn an den Staatshaushalt ab. Zu 70% geht der Rohtabak in den Export, selbst große Tabakerzeuger wie die USA kaufen in Döbeln ein.

Aufnahmen vom Arbeitsalltag auf einem Anbaufeld bei Döbeln um 1980
Fotos:
http://www.döbeln.de

  • Am 14. Juli 1990 schließt der Betrieb und die Produktionsanlagen werden demontiert.
Dem Verfall preisgegeben - die Gebäude des VEB Rohtabak im Jahr 2023.

© Michael Höhme, "Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.

Quellen:
Pressausschuss für das Heimatfest (Hg.): Aus der Heimat. Festschrift zum Heimatfest. Döbeln 20.-22. Juni 1914, S. 94f.
Stockmann, Gottfried: Die Stadt Döbeln als Standort der Industrie. Borna Leipzig 1928, S. 106ff.
Materialsammlung Karlheinz Enzmann (nicht veröffentlicht)

Bildnachweis:
Werbeanzeige 1910 - Schwender, Carl Clemens: Döbeln in Sachsen in Wort und Bild. Döbeln 1910
Werbeanzeigen 1925 – Rat der Bezirksstadt Döbeln (Hg.): Döbeln. Berlin 1925
Fotos Deutsche Zigarren-Werke AG und Fotos Belegschaft Tabakanbau GmbH und Rohtabak – Stadtarchiv Döbeln
Alle Abbildungen/Fotos ohne Vermerk stammen aus der „Sammlung Döbeln“ von Michael Höhme.