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Döbelner Reform-Korsettfabrik

Werbeanzeige aus dem Jahr 1910
  • Mechanikermeister Eduard Rühle eröffnet 1894 im Hinterhof seines Hauses Theaterplatz 1 (heute Bahnhofstraße 1) mit 12 Näherinnen gemeinsam mit dem Roßweiner Korsettfabrikanten Gierke im Haus Theaterplatz 1 eine Korsettfabrik.
  • Der Roßweiner Betrieb wird 1896 nach Döbeln verlegt und von Rühle und Gierke gemeinsam betrieben. Schon ein Jahr später trennen sich beide Unternehmer. Gierke gründet in Leisnig eine Furniturenfabrik.
  • Rühle führt in Döbeln die Korsettfabrik allein weiter. Im Oktober 1899 läuft unter der Firmierung "Döbelner Corsetfabrik Eduard Rühle" die Großproduktion an.
  • Am 6. Oktober 1919 wird die Arbeit in der Chemnitzer Straße (später Greinerstraße, heute Eichbergstraße) aufgenommen. Es ist die Geburtsstunde der "Döbelner-Reform-Corset-Fabrik Rühle & Jehmlich", wovon der Markenname Reco abgeleitet wird. 1925 arbeiten 130 Arbeiterinnen und Arbeiter im Betrieb, 40 als Heimarbeiter.
Markenname Reco
  • Ab 1926 ist Willy Jehmlich, vorher Buchhalter und Teilhaber der Firma, Alleininhaber. Er kauft das benachbarte Grundstück der Lampenfabrik Otto & Geyer, erweitert das Fabrikgebäude mit großem Nähsaal und baut sich auf dem Firmengelände ein Wohnhaus. Die Firma hat 246 Angestellte.
  • 1927 stirbt Carl Eduard Gottreich Rühle im Alter von 70 Jahren. Schon 1920 hatte er sich ins Privatleben zurückgezogen.
Eduard Rühles Geschäft am Theaterplatz mit der "Corsetfabrikation" im Hinterhaus. (Zeichnung v. 1910)
Anekdotisches über Willy Jehmlich: An mein Hühnervolk

Die "Leipziger Zeitung und Handelsblatt für Sachsen" veröffentlichte am 31. Januar 1921 unter der Überschrift "Heiteres in ernster Zeit" eine Begebenheit, die ganz Döbeln zum Schmunzeln brachte. Zwischen zwei Döbelner Bürgern, einem Hauswirt, es war Fabrikant Willy Jehmlich, und seinem Mieter, dem Oberlehrer Schaller, war es zu Differenzen gekommen. Schaller, als passionierter Klavierspieler, hatte öfters die Ruhestunde seines Hauswirtes gestört. Dieser wiederum hatte mit seinen Legehühnern für Unmut bei seinem Mieter gesorgt, da diese in seinen Garten eingedrungen waren. In seinem Unwillen wandte sich der Lehrer am Realgymnasium mit folgendem Schreiben an seinen Hauswirt:

"Herrn Jehmlich, hier.
Ich ersuche Sie, die von Ihren Hühnern angerichtete Verunreinigung des Haustürensteins beseitigen zu lassen, da der Hauseingang bekanntlich nicht als Aufenthaltsort für Hühner vorgesehen ist. Auch bitte ich dringend, Ihren Hühnern den Aufenthalt in unserem Garten zu verbieten, damit ich nicht Zwangsmaßnahmen ergreifen muss.
Oberlehrer Schaller."
Dieser Aufforderung kam der Briefempfänger umgehend nach. Er ließ am Gartenzaune, der den Hühnern als Einfallstor in den nachbarlichen Garten diente, Plakate anbringen, die das Schreiben des Mieters nebst folgender Verwarnung enthielten:
"An mein Hühnervolk! Im Anschluss an obiges Schreiben verbiete ich Euch hiermit den Zutritt zu Schallers Garten, damit Herr Schaller nicht gezwungen ist gegen Euch Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.
Jehmlich."

Dieser Anschlag am Gartenzaune erregte unter den Vorübergehenden an der damaligen Chemnitzer Straße (heute Eichbergstraße) große Heiterkeit und bildete das Stadtgespräch unter der Döbelner Bürgerschaft. Der Mieter fühlte sich wiederum in seiner Ehre gekränkt, zumal ein Schüler diesen heiteren Vorfall im Gymnasium zum Besten gab. Der Mieter klagte vor dem Gericht und bekam sogar Recht. Dem Hauseigentümer legte das Gericht 30 Mark Strafe auf, die er fröhlichen Herzens bezahlte.
Die Zeitung mahnte, dass man bei der Abfassung von Briefen doch größte Aufmerksamkeit anwenden solle.

Großer Nähsaal, 1920er Jahre
Messestand der Firma Willy Jehmlichs (1930er Jahre)
Werbeanzeige (1920er Jahre)
  • 1933 gründet Jehmlich in Leipzig eine Versandfirma mit 100 Reisedamen. Er weigert sich, Rüstungsaufträge anzunehmen, obwohl deshalb die Stilllegung des Betriebes droht.
  • Während des 2. Weltkrieges wird die Produktion zunehmend auf die Fertigung medizinischer Artikel (Bandagen) umgestellt und später teilweise stillgelegt.
  • 1945 stellt der Betrieb maßgefertigte Mieder aus Tisch- und Wischtüchern sowie aus Zuckersäcken her. Für die Sowjetarmee werden Unterhosen genäht.
  • Im Oktober 1949 überträgt Willy Jehmlich die Firmenleitung seiner Tochter Dorothea Schmidt. Ihr Mann Werner Schmidt entwickelt seit 1951 mit dem Betriebsmechaniker mehrere Maschinen zur Steigerung der Produktion.

Näherinnen bei der Fertigung von BHs in den 50er Jahren.

VEB Reco-Mieder

  • 1972 wird der Betrieb verstaatlicht und nennt sich VEB Reco Mieder. 1978 legt man ihn mit den Roßweiner und Radebeuler Standorten zusammen.
Rechnungskopf der Firma aus dem Jahr 1973

Reco-Mieder GmbH

  • 1990 entsteht die "Reco-Mieder GmbH", die 1993 von der Treuhand samt Markenrechten an die "Otto-Thänert-Textil- und Kunststoff GmbH & Co. KG Burgwedel" verkauft wird. Die neuen Eigentümer setzen auf Medizinprodukte.
  • 2008 verkaufen sie aus Altergründen ihre Firmenanteile an die französische Unternehmensgruppe Thuasne.
  • Diese beschließt 2011 die Stilllegung des Döbelner Werkes bis März 2013, womit die verbliebenen 45 Angestellten ihre Arbeit verloren. Die Produktion wird nach Rumänien verlagert.

© Michael Höhme, "Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.

Quellen:
Stockmann, Gottfried: Die Stadt Döbeln als Standort der Industrie. Borna Leipzig 1928, S. 140ff.
Materialsammlung Karlheinz Enzmann (nicht veröffentlicht)
Enzmann, Karlheinz: Miederwaren der besonderen Art – Reco orthopädische Hilfsmittel & Co. KG Döbeln. In: STIEFEL Das Stadt-MAGAZIN für Döbeln 09/2000, S. 5

Bildnachweis:
Werbeanzeige 1910 - Schwender, Carl Clemens: Döbeln in Sachsen in Wort und Bild. Döbeln 1910
Fotos Nähsaal – Stadtarchiv Döbeln
Alle Abbildungen/Fotos ohne Vermerk stammen aus der „Sammlung Döbeln“ von Michael Höhme.